Alles wird teurer, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter und der Kapitalismus scheint langsam aber sicher in sein Endstadium einzuleiten. Lebensqualität müssen sich die meisten von uns hart erarbeiten. Selbst bei einer gängigen 40-Stunden-Arbeitswoche ohne Überstunden ist man (jetzt mal Urlaub und Feiertage außer Acht gelassen) ein Drittel der Werktage am Arbeiten, ein Drittel im Bett und ein Drittel hat man für Freizeit. Das heißersehnte Wochenende ist da meist nur eine kurze Verschnauffspause, vor allem, weil man als erwachsene Person mindestens einen Tag mit allerlei Besorgungen und Saubermachen beschäftigt ist – private Arbeit, na super. Kein Wunder, dass die Stimmung bei vielen Nicht-Workaholics schlecht ist. Wir sind schlichtweg überarbeitet (und die Workaholics in der Regel eh).
4-Tage-Woche: Für alle besser?
Was fast zu schön erscheint, um Sinn zu ergeben, scheint dem aktuellen Studienstand nach tatsächlich so zu sein: Wenn Leute weniger arbeiten, sind sie glücklicher. Ach was! Aber nicht nur das, sie schaffen in der Regel ähnlichen Arbeits-Output wie in einer 5-Tage-Woche. Eine britische Studie im zweiten Halbjahr 2022 hat ergeben, dass der Großteil der 61 teilnehmenden Unternehmen die reduzierte Stundenzeit beibehalten möchte – bei identischer Bezahlung! Die Leute sind weniger gestresst, arbeiten fokussierter und haben letztlich eine deutlich bessere Work-Life-Balance. Da spielen mit Sicherheit auch verzerrende Studieneffekte mit rein, aber ganz unlogisch ist das jetzt nicht.
In anderen Ländern wie Island oder Spanien wurde bereits ausführlich getestet, Belgien hat man die Wahl zwischen 4- und 5-Tages-Woche sogar bereits rechtlich verankert. Und auch US-Politiker Bernie Sanders ist Befürworter einer 4-Tage-Arbeitswoche, wie er auf Twitter kundgetan hat:
With exploding technology and increased worker productivity, it’s time to move toward a four-day work week with no loss of pay. Workers must benefit from technology, not just corporate CEOs.https://t.co/mIm1EpcZLu
— Bernie Sanders (@SenSanders) February 21, 2023
Fairere Arbeit!
Fraglich ist natürlich die genaue Ausgestaltung eines solchen Konzeptes. Werden etwa nur die Arbeitsstunden auf vier statt fünf Tage verteilt? Das kann sogar negative Auswirkungen haben. Vermutlich macht eine Mischung Sinn. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, Montag bis Freitag jeweils neun Stunden zu arbeiten, dafür aber halt von Freitag bis Sonntag frei zu haben. Noch besser wäre natürlich eine Stundenanzahl, die man komplett flexibel innerhalb der Woche einteilen kann. Allerdings hat sich das Montag-bis-Freitag-Modell eingebrannt, so dass eine gewisse Erreichbarkeits-Erwartung vorhanden ist, die schwer zu balancieren sein könnte, auch in der Unternehmens-internen Absprache, wenn manche Leute Montag und andere Freitag frei haben. Aber das geht mit Halbtags- oder Teilzeitkräften doch auch? Und letztlich muss der Arbeitsmarkt sich einfach „nur“ umstellen. Leichter gesagt als getan, schon klar. Da wird man – wie bereits beim Home Office – gegen gewaltige Windmühlen in versteinerten Unternehmer:innen-Lobbies kämpfen müssen, die Angst um ihr Geld und vor Veränderung haben. Für mich steht aber fest, dass die Unternehmen, die derartige Vorteile gegenüber ihren Angestellten anbieten, in Zukunft auch eher gewählt werden. Das ist ein Plus im Bewerber:innen-Markt und dürfte sich letztlich auch im Arbeitsklima und der psychischen Gesundheit im Team niederschlagen.
Meiner Meinung nach ist aber vor allem wichtig, dass Arbeit fair wird. Faire Löhne für ehrliche Arbeit und respektvolle Arbeitsbedingungen. Zu viele Leute haben ja nicht mal eine richtige 40-Stunden-Woche, weil Überstunden nicht finanziert oder abgebummelt werden können. Andere würden sich gar über eine 5-Tage-Woche freuen, arbeiten sie doch gar sechs oder sieben Tage die Woche. Zum Beispiel viele Selbständige, wie ich es bin. Natürlich würde mir eine gesetzlich eingeräumte 4-Tages-Woche nichts bringen, aber vermutlich würde ich dann noch stärker darüber nachdenken, wieder in ein geregeltes Angestellten-Verhältnis zu wechseln. Die genaue Anzahl der Stunden ist da beinahe nebensächlich und im Vergleich zu ganz anderen Problemen beinahe nebensächlich. Gehaltsniveau-Angleichungen müssen zwischen Geschlechtern und Jobs her. Aber das ist ein anderes Thema.
Quelle: „TwistedSifter“ | Bild: Christin Hume
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