Willkommen zurück in meinem Chaos. Es ist Mittwoch nach dem Frühstück. Bis hierhin haben wir schon überlebt, ohne nennenswerte Verluste. Eventuelle Nerven zählen nicht. Jeder, der was gegessen hat, hält sich die Augen zu und wirft seine Schüssel (K1 staunt immer noch, dass es Müsli gab) blind in die Küche. Mit viel Glück trifft man die Spüle. Oder das Fenster. Oder die Ming-Vase.
Nachdem ich die teuren Scherben weggeräumt habe, steht das große Kind erwartungsvoll vor dem Tisch und will endlich mit der vollwertigen, fachlich hochkompetenten Ausbildung beginnen und zückt eilfertig das erste Arbeitsheft… hihihi… Nein, natürlich nicht. Einsam stehe ich im Wohnzimmer. Das Ticken der Wanduhr wird lauter. Das Rauschen des Blutes in meinen Adern ist ohrenbetäubend. Mein Herzschlag nimmt an Geschwindigkeit zu. Es ist still. Unheimlich still!
Langsam bewege ich mich Richtung Kinderzimmertür des Schulkindes. Das scheint der Ursprung der schauderhaften Stille zu sein. Ich nähere mich dem schwarzen Loch. Ich komme mir vor wie in all’ den Horrorfilmen, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Wenn ich einen Mörder im Haus vermute, lege ich natürlich das rettende Telefon erst einmal weit weg und gehe HOCH zum Dachboden und gucke nach, ob er dort sitzt und an den Leichen meiner Freunde nagt. Man möchte rufen: „Bist du stulle??? Renn’ aus dem Haus was das Zeug hält!!!“. Genau das möchte ich mir auch gerade zurufen. Ich sehe mich wie fremdgesteuert die Hand heben und an das Tor des Grauens klopfen. Das kann kein gutes Ende nehmen. Ich erschrecke innerlich vor dem lauten Geräusch, das meine Faust auf dem Holz der Tür macht. Es gibt kein zurück mehr. „Homeschool geht los“! War das meine Stimme? Sie klang erstaunlich fest. „Ich kann jetzt nicht!“ ist die Antwort aus dem Hoheitsgebiets des Chaos. Ich denke nur: „Ach so, okay, entschuldige, dass ich störe“. Kind Nummer Zwei kommt aus dem anderen Terror-Territorium und ruft triumphierend: „Ich bin ein Schlumpf!“ Stimmt. Er ist blau. Blau angezogen. Und angemalt. Ich rufe K1 zu, dass es noch zehn Minuten Zeit für sich hat und nehme K2 den blauen Edding aus der Hand. Wasserfest natürlich. Es werden dann ein paar Minuten mehr als zehn.
Letztendlich sitzen ein nun nur noch hellblauer Minischlumpf, ein tiefenentspanntes Homeschoolkind und ich am Tisch und haben von Bastel- bis Schreibmaterial alles auf dem Tisch vor uns aufgebaut. Der Tisch ächzt leise. Das Radio ist aus und das Handy auch. Friedlich strahlen wir uns alle herzlich an und legen los. Am Ende hat der blaustichige Minimensch sich einen Weltfrieden aus Pappe gebaut und K1 beschließt, Pinguin am Nordpol zu werden. Und ja, es weiß, dass es dann ein Eisbär-Problem hat. Ich parke meine Stirn auf der Tischplatte.
Der Ehemann kommt reingerauscht und hat nur Augen für die Kaffeemaschine. Erst als er seinen Heiligen Gral wieder dampfend gefüllt hat, guckt er uns mit erhobenen Augenbrauen an: „Homeschool schon vorbei?“ Ich gehe jetzt Mittagessen machen. Es gibt Möhren, Kartoffeln und gebratenen Mann mittleren Alters.
Kommen wir nun also zum Wochenende: Sonntag nach dem Frühstück. Auch heute haben wir es bis hierhin geschafft, ohne nennenswerte Verluste. Jeder, der was gegessen hat, nutzt die bewährte Blindflugtaktik und wirft seinen Teller oder sein Brettchen im hohen Bogen in die Küche. Um die Ming-Vase muss ich mir ja keine Gedanken mehr machen.
Fast wissen wir nicht, was wir machen sollen, so ohne Homeschooling am Vormittag. Aber nur fast. K2 spielt friedlich mit irgendwelchen Dingen im Kinderzimmer und Kind Nummer Eins übt Flöte. Das erklärt das Piepen in meinem Ohr, das sich quietschend in mein Gehirn bohrt. Ich für meinen Teil denke ernsthaft darüber nach, zu duschen. Und mich anzuziehen. An einem Sonntag. So ein Quatsch. Vielleicht später.
Da klingelt es an der Tür. Der Chef vom Zeitungsjungen will wissen, ob wir mit ihm, also dem Jungen, zufrieden sind. Ich bestätige, dass wir sehr zufrieden sind und er der Verantwortung seiner Tätigkeit mit Hingabe gerecht wird. Glücklich geht der gute Mann zum nächsten Eingang. Wir bekommen gar keine Zeitung. Immerhin hat er mein Trümmerlottenaussehen unkommentiert stehen gelassen. Nur ein bisschen hat der Mundwinkel gezuckt.
Na gut, ich kann mir ja wenigstens die Haare bürsten gehen. Die Idee an sich ist gut, aber leider halten mich widrige Umstände von meiner Bürste fern. K2, der widrige Umstand, hat meine Bürste adoptiert und nennt sie „Igelchen“. Sie wohnt jetzt bei ihm. Ja, man könnte sagen: Der Igel wohnt jetzt hier. Aber den Witz erzähle ich ihm erst, wenn er älter ist. Man will ja nichts heraufbeschwören.
Ungebürstet, mit Loch in der Socke, marschiere ich zurück ins Wohnzimmer und peile das Sofa an. Der Ehemann schaut auf „Na, heute Sonntagslook?“. Ich gehe jetzt Mittagessen machen. Es gibt heute Knödel mit Ehemann-Ragout.
Aber wartet nur ab, das dicke Ende kommt erst noch. Wir sind noch lange nicht im Bett!
#staysane
#normalkannjeder
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