TITEL | The Hateful Eight | START | 28.01.2016 | |
GENRE | Drama | REGIE | Quentin Tarantino | |
CAST | Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Tim Roth, … | URTEIL | ||
KURZUM | Lang aber nicht weilig – und doch zu monumental. |
Gestern bin ich mit gemischten Gefühlen aus der lang erwarteten Pressevorführung des neuen Tarantino-Films gegangen. Ein Epos, das mehr Stunden Laufzeit als gezeigte Locations hatte und mal wieder ganz anders war als die anderen Filme seines Schaffers – und doch so viele typische Züge seiner Handschrift aufweist. Passend dazu trägt das achte Werk auch eben jene Zahl im Titel. Auch wenn es dann irgendwie zu Tarantino passt, dass die Schreibweise zwischen „The Hateful Eight“, „The Hateful 8“ und „The H8ful Eight“ hin und her springt, wie ein Hase auf Koks. Wenn dann im Vorspann ein knallgelber altertümlicher Font gezeigt wird, der aber auch überhaupt nichts mit dem schicken Schwarz-Rot in den PR-Unterlagen (s. Plakat) zu tun hat, juckt es einem als Design-Affinen schon einmal in der Augenhöhle. Stilbruch und Konfrontation im Kleinen – nur der Anfang.
Mein Kinomitgänger hat nach dem Film gesagt „das kann nur Tarantino“. Das stimmt vermutlich. Bzw., das können viele Regisseure, aber vermutlich lassen Filmstudios es nur bei Tarantino durchgehen. Ein fast dreistündiges Epos, das nahezu alle Szenen komplett ausspielt. Keine Schnitte beim Kaffee-Holen, keine Sideplots, keine größeren Zeitsprünge (die nicht erklärt werden) und vor allem Dialog. Das konnte er schon immer, aber wenn man sich mal gefragt hat, wieso nach „Django Unchained“ erneut ein in ähnlicher Zeit zu spielen scheinender Film mit Kopfgeldjäger-Charakteren gezeigt wird, der bekommt schnell mit, dass es gefühlt ein komplett anderes Genre ist. Statt aufwendiger Geschichte mit vielen Charakteren und Orten und Abwechslung und Tempo gibt es hier eher ein Kammerspiel zu betrachten. Ein Theaterspiel auf Celluloid. Vermutlich im Director’s Cut fünf Stunden lang, aber irgendwo hat die Geduld von Verleiher und Kinogänger dann ja doch ein Ende…
Und so sitze ich da als kleiner Tarantino-Fanboy und freue mich wie Bolle auf dieses Stück Film, das so lange solch ein Geheimnis, zwischendrin angeblich gestoppt und bereits vor knapp zwei Monaten in den USA gestartet war. Endlich konnte ich auch ich ihn sehen. Und als Erstes sehe ich einen Kopf. Aus Holz. Ein Gesicht in einem Baum? Nein… Eine Statue? Eher. Jesus? Vermutlich. Ja, Jesus. Mit Schnee drauf. Soso. Diese Erkenntnis hat rund drei Minuten gedauert, gefühlt deutlich länger. Ein exzentrisch langer Zoom-Out zu Beginn, der bereits demonstriert, dass man sich Zeit nimmt. Für alles. Für die Stimmung. Die ist zu Beginn noch nicht einmal so behäbig wie später. Die Dialoge sind zum Start auf Höchstniveau. Der Start ist langsam aber doch lückenlos erzählt. Von Beginn an hat man keine wirkliche Ahnung, wer welches Spiel spielt oder für wen man sein soll. Das gefällt mir gut. Mehr und mehr Personen treffen aufeinander und es herrscht eine Stunde voller Misstrauen. Inklusive sehr direkter Sprache und dem einen oder anderen Spruch.
Das Setting: Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) möchte seine wertvolle Fracht Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) zum Galgen bringen und das Kopfgeld einsacken, welches so beachtlich ist, dass er niemandem traut. Weitere Weggefährten haben ihre eigenen Ziele – und doch landen alle irgendwie in einer alten Hüte, Zuflucht suchend vor einem Schneesturm. Es entwickelt sich ein Spiel des Kennenlernens, der Vertrautheits-Suche – und des Verrats. Dabei wird versucht, Komik in Dialogen über im Verlauf deutlich zu überzogene Dialoge oder recht vorhersehbare Running Gags zu generieren – da kriegst du die Tür nicht zu! Leider etwas plump und der gewitzte Charme und die Ausgefeiltheit der Dialoge schafft es leider nicht über die komplette Dauer über, zu existieren. Zwischendurch ergeben sich Längen, alles wirkt natürlich auch aufgrund der fehlenden Szenerie-Wechsel etwas zäh. Erst ein kleiner Zeitsprung inklusive Erzählerstimme bringt etwas Dynamik nach etwa der Hälfte des Films. Also nach über 90 Minuten…
Aber das Lange hat auch seinen Sinn. Es gibt einige richtig schöne lange Szenen, die ausgespielt werden. Teils minutenlang mit einem Shot. Alles wirkt authentisch, man hat nie das Gefühl, etwas zu verpassen, sondern ist inmitten der zugeschneiten Hütte. Gefallen hat mir eine Szene, in der Domergue Gitarre spielt und jeweils die Ebene des Bildes/Raums scharf gestellt wird, auf die sie gerade blickt. Das sind fachmännisch ungemein gut gemachte Elemente, die der Film auch hat. Aber nicht immer helfen sie der Geschichte oder besitzen eine berechtigte Grundlage. Insgesamt hätte der Film sicherlich 30-60 Minuten kürzer sein können. Dazu fehlt mir am Ende (ich gehe nicht auf Details ein), der ganz große Twist. Das war insgesamt für den gewaltigen Aufbau ganz nett, aber nicht das erhoffte Aufdeck-Spiel. Alles blieb etwa eine Eben zu oberflächig, zu erwartet, zu Theater-like. Hier hätte ich mir einen deutlicheren Bruch in der Erzählweise gewünscht. Wie bei der Schreibweise des Filmtitels.
Urteil:
Tja, und insgesamt steht dann da diese Zahl von 3,0 Sternen. Gerne hätte ich mehr gegeben, aber mir fehlen die großen Szenen, die besonderen Momente, die auf Jahre im Gedächtnis bleiben. Gerne hätte ich weniger gegeben, aber der Abstand zu tatsächlichen Enttäuschungen wie Spectre muss gewahrt werden. Sicherlich ist The Hateful Eight ein Unikat, gerade im bisherigen Schaffenswerk Tarantinos, aber mir persönlich war er nicht kurzweilig genug. Für ein derartiges Kammerspiel haben zudem nicht immer die Dialoge standhalten können und die verhaltensbasierte Logik einiger Charaktere muss zumindest hinterfragt werden. Und doch war ich überrascht, dass sich die knappen drei Stunden nicht wie knappe drei Stunden angefühlt haben. Der Gedanke „wann ist es endlich vorbei…?!“ kam nie auf – ein gutes Zeichen. Und doch fehlen die ganz positiven Dinge. Bis auf vielleicht Jackson konnte mich keiner der Darsteller gänzlich überzeugen. Allesamt haben sie gut gespielt, keine Frage, aber richtig große Lebenswerke waren nicht zu sehen. Hinzu kommt, dass ich die Oscar-Nominierung von Jennifer Jason Leigh als beste Nebendarstellerin nicht nachvollziehen kann. Ihr Charakter ist deutlich hinter meinen Erwartungen zurück geblieben und die Darstellung war sicherlich solide bis gut, aber keine Nominierung würdig (ohne, dass ich jetzt die komplette Konkurrenz in der Kategorie einschätzen könnte). Auch bei Tim Roth hatte ich mir mehr erwartet. Er übernimmt die mittlerweile obligatorische „Christoph Waltz-Rolle“. Der noble und redegewandte Brite, der mit Wortakrobatik und Charme für Unterhaltungswert sorgt. Leider nur im Ansatz. Und ein mit schlechten Zähnen versehener Channing Tatum passt leider so gut wie gar nicht in das Setting…
Am Ende kommt man dann eben mit gemischten Gefühlen aus dem Saal. Zunächst sitzt der Gedanke „das. war. lang.“ im Kopf. Dann sucht man nach den richtig guten Sachen. Dann sucht man nach den richtig schlechten Sachen. Fündig wird man bei beiden wenig. Und am Ende steht ein Stück Enttäuschung einem Stück Freude gegenüber. Freude über die kleinen Dinge, wie der (etwas zu prominent eingebaute) Red Apple-Tabak. Aber das reicht für mich nicht aus, dieses Monument an Film in den kommenden Wochen noch einmal sehen zu wollen. Dafür war dann doch zu viel weilig.
Bilder: © 2015 The Weinstein Company. All Rights Reserved.
Vielen Dank für deinen Bericht. Sehr gut geschrieben und endlich mal ein wenig Feedback – es ist ja im Netz/Presse erstaunlich ruhig für einen Tarantino. Ich MUSS ihn trotzdem gucken! Es geht nicht anders! Da Twitter down ist, schreibe ich hier :D
Bittegerne und danke. Hier sind Kommentare eh viel schöner. ;)
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