Ich hoffe, Ihr seid alle gut rübergerutscht ins 2017! Ich hoffe, Ihr habt so viel echtes Leben mit Freunden und Weggehen und so, dass Ihr an Silvester nicht Fernsehen schauen musstet. Mich haben zwei Dinge schockiert, als ich ARD und ZDF im Wechsel geschaut habe. Zum einen das, was ich gesehen habe. Und am nächsten Tag dann, wie viele das geschaut hatten.
Für mich war es mal wieder wie ein Unfall auf der Autobahn. Man will nicht hinschauen, viele machen es aber doch (und behindern damit alle anderen). Im Ersten kam der „legendäre“ Silvesterstadl mit Pilawa und so ner Sängerin. Im ZDF der traditionelle Countdown vor dem Brandenburger Tor mit Kiewel und Kerner. Nachdem der Musikantenstadl in den letzten Jahren kaputtverjüngt wurde u.a. durch eine der unsinnigsten Moderatorenauswahlen seit „Wetten Lanz!?“ und jetzt auch noch Quizonkel Pilawa als Host. Erwartungsgemäß zieht er eine Zote nach der anderen. Die auftretenden „Künstler“ spielen fast 100% Playback und sind allesamt aus dem letzten Jahrhundert. Langweiliger und schlimmer geht es eigentlich kaum. Doch auf dem ZDF zeitgleich Kerner und Kiwi im Gespräch mit dem Goldmedaillengewinner, der es im letzten Sommer in Rio wagte, die Nationalhymne nicht artig mitzusingen. Kerner schafft ein Interview ohne den Skandal wieder aufzuwärmen, aber vermasselt es in der Zielgeraden dann doch und fragt, ob Harting es ok findet, dass sie jetzt gar nicht über den Skandal gesprochen haben… man man man. Da hilft auch das anschließende grenzdebile Lachen nicht. Danach kommt Jermaine Jackson, Bruder von Michael und früheres Mitglied der 5. Kerner kriegt sich nicht mehr ein, was für ein unfassbarer Weltstar da wäre. Wow. Dieser Star tut dann später noch auf der Bühne so, als würde er ein Lied singen und hat Haare auf, die aussehen, als seien sie aufgemalt. Nun gut. Davor spielt die Coverband Radio Future, die Purple Rain rappt. Kann man machen, muss man aber auch nicht. Die Hermes Houseband covert danach unermüdlich weiter.
Warum schreibe ich das?
Ich frage mich, ist es das, was wir Deutschen sehen wollen? Klar, jeder vernünftige Mensch hat an dem Abend Geld für Böller ausgegeben, langweilt sich am Raclette oder bezahlt zu viel Eintritt für ne schlechte Party in der örtlichen Disse, aber anscheinend wollen das ja ziemlich viele Menschen genau so haben in der Glotze drin. Berieselung. Schlechte Musik mit schlechten Moderationen. Wann kommt da endlich mal Schwung in die Kiste? ARD und ZDF müssen jetzt langsam mal in die Puschen kommen, um endlich mal was Vernünftiges zu zeigen, was man auch als 30- bis 50-Jähriger schauen kann. Ich rede nicht vom Jugendangebot „Funk“ im Internet. Ich will endlich mal wieder was im TV sehen, das mir etwas mehr gibt als Quiz und seichte Bedudelung. Bei Reportage geht das ja schon ansatzweise so. Aber wie wäre es mal wieder mit ner Show, die was kann. Endlich wieder neue, gute Leute, die z.B. echte Bands interviewen. Vielleicht sogar mit ein bisschen Anspruch. Bitte keine weitere pseudo-politische Kabarettsendung für 60-jährige Pädagogen im Ruhestand. Keine Pseudo-Reportage mit einem der alten, bekannten Moderatoren, die plötzlich voll ernst Themen „recherchieren“. Bitte keinen weiteren GEZ-Euro für immer die gleiche Leier.
Liebe Programmverantwortliche: wenn Ihr nichts wagt, gewinnt Ihr gar nichts. Die Angst davor, dass die „Alten“ dann nicht mehr schauen, braucht ihr nicht haben. Klar, von denen gibt es statistisch viel mehr und die Quote ist damit sicher. Aber wie lange noch? Ihr verliert alle Menschen mit ein bisschen Hirn an Streamingdienste und das Internet. Aber wir zahlen doch alle Gebühren. Nicht falsch verstehen, ich bin großer Fan des öffentlich-rechtlichen Systems an sich. Ich arbeite seit 14 Jahren sehr gerne für ARD und ZDF. Aber so langsam weiß ich nicht mehr, was ich hier noch moderieren soll. Und kaum ein Freund oder eine Freundin erzählt mir, wie toll sie das Programm findet. Kein Wunder. Wir Mitt-/Enddreißiger sind die verlorene Generation. Wir sind mit dem Fernsehen aufgewachsen und eigentlich Fans. Aber die Beziehung hat gelitten und leidet weiter. Die ganz Jungen braucht Ihr erst gar nicht versuchen, zu erreichen. Die finden ihre Inhalte eh schon woanders. Daher macht endlich was. Oder noch besser, lasst es endlich die machen und entscheiden, die in den letzten Jahren sich immer gewünscht haben, ein Programm zu machen, das sie selber schauen würden.
(Bild: Tina Rataj-Berard)
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