Dass es noch immer frische Ansätze gibt, den Berliner Fernsehturm, das Brandenburger Tor oder Füchse zu fotografieren, demonstriert Marcello Zerletti Woche für Woche auf Instagram. Ich habe mit dem Hauptstadtfotografen im Interview über den Einsatz von Schatten, seinen enorm frühen Arbeitsablauf und die Frage geschrieben, ob so eine Großstadt denn auch mal „ausgeknipst“ sein kann.
Interview mit Fotograf Marcello Zerletti
Maik: Wie viele Fotos hast du heute bereits geschossen? Und war ein besonderes Motiv darunter?
Marcello: Wenn Du mit heute heute meinst, 12 Bilder. Besonders ist ja relativ. Ich hatte ein Bild im Kopf und das habe ich leider aufgrund des Wetters nicht machen können. Zufrieden bin ich dennoch.
Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Ich habe mir irgendwann von meinem Schwiegervater die Kamera ausgeliehen für einen Urlaub. Die Bilder, die ich dort machen konnte, haben mich selbst sehr überrascht und sind in der Familie sehr gut angekommen. So wurde es recht schnell zu einer Leidenschaft und die Zeit, die ich in die Fotografie und die Bildbearbeitung, bzw. ins Lernen gesteckt habe, wurde immer mehr.
Als (zugezogener) Berliner ist für mich immer wieder interessant zu sehen, wie du unsere Hauptstadt stets auf neue Weise und doch mit eigenem Stil zu inszenieren weißt. Gerade Berliner Wahrzeichen wurden ja nun wahrlich oft von etlichen Leuten fotografiert – kann so eine Metropole jemals „ausgeknipst“ sein und keine neuen Motive mehr bieten?
Das ist eine gute Frage. Irgendjemand hat mal gesagt: „Es wurde schon alles fotografiert, nur noch nicht von Jedem.“ Ich weiß leider nicht von wem das ist, aber ich finde es sehr treffend. Aus meiner Sicht kann es nicht „ausgeknipst“ werden. Es gibt ja zum Glück wechselnde Jahreszeiten, Wetterbedingungen etc. Dazu kommt, dass wir gerade in Berlin sehr viele Veranstaltungen, Feiern und sonstige Ereignisse haben, die immer wieder andere Bedingungen und Perspektiven bieten und ab und an wird ja auch noch etwas Neues gebaut oder umgebaut. Des Weiteren kann man auch mit verschiedenen Brennweiten oder Techniken arbeiten, um ein Motiv anders darzustellen. Ich denke nicht, dass es mir mal langweilig wird. Solange ich zwischendurch mal Tapetenwechsel durch Reisen habe, freue ich mich immer wieder, durch die Stadt zu streifen.
Hast du einen Lieblingsort in der Stadt?
Auch wenn das sehr abgedroschen klingt, der Berliner Dom und das Brandenburger Tor sind auch nach gefühlten einer Million Fotos meine Highlights, allerdings nur am frühen Morgen.
Welche Ratschläge kannst du Leuten geben, die im urbanen Umfeld auf der Suche nach geeigneten Motiven sind?
Ich gebe so ungern Ratschläge, da jeder anders unterwegs ist. Der eine fotografiert gern in der Gruppe und ich bin der andere. Ich bin gern allein oder zu zweit unterwegs, beobachte gern die Umgebung und erkunde die Gegend in real und nicht per Google Maps oder Instagram. Die Motive sind da draußen.
„Ich bin in der Regel ca. eine Stunde vor Sonnenaufgang wach.“
Du arbeitest viel mit güldenem Sonnenlicht, bedienst dabei vor allem oftmals die morgige „Golden Hour“ – zu welchen Zeiten stehst du dann auf und wie sieht dein Ablauf aus?
Ich bin in der Regel (mittlerweile auch ohne Wecker) ca. eine Stunde vor Sonnenaufgang wach. (Im Winter aber etwas früher) Dann trinke ich meinen Kaffee und rauche eine Zigarette auf dem Balkon und beobachte dabei das Wetter. Dann nehme ich mein Equipment und ziehe los. Wenn ich etwas bestimmtes fotografieren möchte, dann passe ich den Ablauf natürlich an.
Fotografierst du aufgrund des späteren Sonnenaufgangs lieber im Winter oder gibt es andere Jahreszeiten-Präferenzen?
Das ist ganz verschieden. Im Sommer ist man bei den Sonnenaufgängen aufgrund der Uhrzeit teilweise sehr einsam unterwegs. Da ich aber gern mal Personen (als Silhouette oder als Größenvergleich oder als dynamisches Element) einbaue, kann sich das im Sommer mal schwierig gestalten und zu langen Wartezeiten führen, wo sich dann das Wetter oder der Sonnenstand schnell mal ändert, bis jemand kommt. Daher mache ich im Sommer mehr Langzeitbelichtungen oder Zeitraffer.
Um Sonnenlicht und Atmosphäre wirken lassen zu können, ist der Grund-Charakter deiner Bilder eher düsterer Natur. Wie kam es zu diesem persönlichen Stil?
Ich werde für meinen „düsteren“ Stil auch oft genug kritisiert oder nach Depressionen gefragt. Ich hab dafür aber nicht mal eine vernünftige Erklärung, es gefällt mir einfach. Die Technik der Kameras gibt es immer mehr her, die dunklen Bereiche eines Bildes extrem aufzuhellen und das machen sehr viele. Mir kam und kommt das immer sehr unnatürlich vor und ich hab mich einfach irgendwann dagegen entschieden. Schatten oder dunkle Ecken in der Dämmerung, bleiben bei mir halt dunkel. Aber das ist wie gesagt Geschmacksache und das mag jeder anders.
„Man sollte sich davon verabschieden, es allen recht machen zu wollen.“
Zwischen etlichen urbanen Landschaften finden sich in deinem Instagram-Profil auch immer mal Tiere. Ein natürlicher Ausgleich, wenn man so will?
Ich mag einfach Tiere sehr gern und bevor ich mit der Fotografie begonnen hab, war mir gar nicht bewusst, wie viele Tiere hier in Berlin unter uns leben. Ich würde es daher gar nicht so abgrenzen zu meinen urbanen Bildern, denn sie gehören ja auch dazu. Allerdings passe ich schon sehr auf, dass man die Standorte der Tiere auf meinen Bildern nicht genau erkennen kann, um sie auch zu schützen.
Widerstrebt dieser Mix der eigentlichen „Regel“, man solle möglichst stringent die gleiche Bildsprache auf seinem Kanal durchziehen oder ist eben diese Mischung genau das, was @zerletti ausmacht?
Man solle auf jeden Fall das machen, worauf man selbst auch Lust hat, auch auf die Gefahr hin, dass eben nicht jedes Bild gut ankommt. Mein eigener Geschmack ist ja das, was mich da hingebracht hat, wo ich jetzt bin. Scheinbar gibt es ein paar Leute, denen das auch gefällt. Man sollte sich davon verabschieden, es allen recht machen zu wollen. Wenn ich ab und an mal ein Tier oder eine Sonnenblume fotografiere und/oder poste, dann, weil es mir gefällt. Die meisten meiner Follower können damit auch gut umgehen, sie kennen es ja von mir nicht anders.
Aktuell bist du mit einer Nikon D850 sowie einem Samsung Galaxy S10+ unterwegs. Wie oft wechselt dein Set-up und hast du eine Lieblings-Kombo?
Eigentlich wechselt sich das Setup bei der Kamera so gut wie nie. Ich sehe da im Moment keinen Handlungsbedarf, da ich sehr sehr zufrieden bin. Auf der Kamera ist meistens ein 24-70mm 2.8 drauf, mit dem ich meine meisten Bilder mache. Wenn ich in Gebäuden fotografiere, dann kommt ein Weitwinkel zum Einsatz. Beim Smartphone ist es ein wenig anders. Damit bin ich natürlich auch sehr zufrieden, aber dort findet durch die Einführung neuer Modelle ein häufigerer Wechsel statt, in der Regel alle halbe Jahr. Das ist wiederum sehr spannend, weil in dem Bereich die Kamera ja ständig weiterentwickelt wird und ich bei jedem Wechsel immer wieder erstaunt bin, was so alles geht. Wichtig ist und war mir immer, dass es funktioniert, wenn es soll und das ist bei beiden Marken gegeben, ich hatte noch keine Probleme.
Welche Unterschiede sind die größten zwischen traditioneller Spiegelreflex- und moderner Smartphone-Fotografie? Worauf muss man jeweils vor allem achten?
Der größte Vorteil liegt auf der Hand, das Smartphone ist so schnell gezückt, da entgeht Dir kein Moment und man hat es auch immer dabei. Des Weiteren gibt es auch Bereiche, wo eine Kamera nicht erlaubt ist, wie Konzerte, manche Museen etc. Zu beachten gibt es nichts, was man mit der Kamera nicht auch beachten müsste. Ich empfehle auf jeden Fall auch mit dem Smartphone so oft es geht (und wenn das Model die Möglichkeit hat) im RAW-Format zu fotografieren. Das macht die Bildbearbeitung leichter und man hat im Nachhinein noch Möglichkeiten, kleine Fehler zu korrigieren.
Welches ist das deiner Meinung nach beste Foto, das du bislang geschossen hast und wieso?
Ich glaube, mein bestes Foto hab ich noch nicht gemacht. Das hoffe ich zumindest, denn das treibt mich ja an. Wenn ich mich aber für eins entscheiden müsste, dann wäre es sicher eins von der Fuchsfamilie, die ich über drei Monate täglich fotografisch begleitet habe. Das sind so viele Emotionen für mich drin.
Gab es bereits Bilder, bei denen deine Erwartungen komplett widerlegt worden sind? Also ein eigentlich von dir hochgehandeltes Motiv, das wenig Begeisterung unter deinen Followern hervorgerufen hat, oder umgekehrt?
Das passiert eigentlich sehr häufig, wobei es da andere Gründe für die Enttäuschung gibt. Es sind meistens Bilder, wo der Aufwand aufgrund der Location oder der Umstände sehr hoch waren. Wenn man viel Arbeit und Zeit und Energie in ein bestimmtes Motiv steckt und es weniger Zuspruch findet als ein Bild, das man „vor der Haustür“ macht, dann hat man eine andere Erwartungshaltung und wenn diese dann nicht erfüllt wird, ist es schon enttäuschend. Mittlerweile bin ich da aber schnell drüber hinweg, ich kann und will es auch nicht beeinflussen.
Kommen wir zum Werbeblock: Du bist freischaffender Fotograf und Bildbearbeiter – wofür kann man dich alles buchen?
Grundsätzlich mache ich alles, was mir auch Spaß bringt. Natürlich gerne Bilder von Gebäuden, Städten, Landschaften. Wenn es keine reine (Studio-)Produktfotografie ist, auch gerne Autos, Motorräder oder Schuhe, Klamotten oder was man sonst noch mit natürlichem Licht in schöner Umgebung bei toller Stimmung in Szene setzen kann. Ich mache keine Hochzeiten, aber ich kann da gute Profis empfehlen :)
Immer meine letzte Frage: Was machst du, wenn dir langweilig ist?
Podcasts hören.
Danke für das Interview.
Gern geschehen.
Solltet ihr Marcello buchen oder einfach nur weitere seiner tollen Bilder anschauen wollen, so könnt ihr Kontaktdaten und Arbeitsproben auf Zerletti.de sowie vor allem auf seinem Instagram-Profil finden.
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