Schon wieder keine Gewürze. Es ist immer dasselbe. Ich könnte kotzen. Aber die Tüte, die dafür vorgesehen ist, ist schon voll. Mein Sitznachbar ist wohl einer der eher flugängstlichen Leute. Das kommt davon, wenn man über das Internet bestellt, und so drei Plätze erhält, die gefühlte fünf Flugzeuglängen auseinander liegen. Dazwischen, wie könnte es anders sein: Quengelnde Kinder, besoffene Flug-Schisser und dicke Frauen. Alles da, außer Gewürze für den Tomatensaft. Dabei müssten die sich doch bei so was auskennen. Wo das doch so ein Saftladen zu sein scheint.
Clint ist für die Reise zuständig, der korpulente Steffen für die Verpflegung und ich für die Tickets. Der Flug ist lausig, das nach dem Zoll übrig gebliebene Essen hier oben ungenießbar. Aber die Tickets in meiner Hand machen mir Hoffnung, dass dieser Trip doch noch auf eine schöne Weise unvergesslich werden könnte. Endspiel der Gruppe B – Spanien gegen Deutschland. Block an der Mittellinie, beste Sicht. Und das für läppische 83 Euro das Stück. Da hätte Ticket_Mieze_09 bestimmt mehr bei eBay rausholen können. Uns soll’s Recht sein. Als Student ein Ausflug nach Südafrika, um ein WM-Spiel sehen zu können, erscheint Privileg genug. Ich beschließe, ein wenig zu schlafen, bis der holprige Flug vorbei ist.
Gerade schießt Klose das 4:0 gegen Italien im Finale, als mich mein Sitznachbar weckt. „We are there, friend“ sagt es in gebrochenem Englisch. Ich bin froh, dass das aktuell das einzige gebrochene an ihm ist. Nachdem wir etwa eine Halbzeitlänge auf unsere Koffer warten mussten, hat natürlich der Shuttlebus zur Absteige – pardon, zum Hotel – ein Problem. Steffen kommt kauend vom Reiseleiter.
„Mhmthr-Schdhn.“
Clint gibt ihm eine Ohrfeige.
„Dass Du das Mistzeug überhaupt selber isst…“
„Man kann das auch nach einem Tag noch essen!“
rechtfertig Steffen sich. Seiner Meinung nach kann man immer alles noch essen.
„Ja, komm zu Potte, Fettie, was ist denn nun?“
„Motorschaden.“
Verdammt. Kann ja auch niemand ahnen, dass es in Südafrika im Juni warm sein könnte.
„Ja, und nun?“ frage ich den Reisebeauftragten Clint.
„Ganz einfach, ich sage nur zwei Wörter: Miet Wagen.“
„Ähm, das ist ein Wort.“
„Äh, ja.. ich war ja noch nicht fertig. Mietwagen UND Autovermietung!“
„Das wären dann aber drei Wörter…“ hört man Steffen dazwischengrummeln, dicht gefolgt von einer weiteren Ohrfeige.
Nach einer weiteren Halbzeitlänge wildem Gestikulieren können wir dem Mann am Vermietungsschalter klar machen, was wir wollen und er gibt uns einen modernen Neuwagen. Das würde ich sagen, wenn wir uns im Jahr 1976 befänden. Im australischen Outback. Immerhin kein Motorschaden. Auf zum Hotel – Pardon, zur Absteige.
In Johannesburg fahren die Leute wie die Berserker. Und das obwohl die Straßen extra für die WM von den Amerikanern und den Europäern modernisiert wurden. Die Franzosen haben sogar einige Kreisverkehre springen lassen. Aber in diese monströsen Kreisel traue ich mich kaum mehr rein, seitdem ich einmal vier Stunden in einer vierspurigen Ausgeburt der Froschschenkel-Hölle festsaß. Deshalb fährt Clint. Immerhin ist er ja auch der Reisebeauftragte. Und irgendwie ankommen tun wir ja anscheinend.
Das vermeidliche Rattenloch, in welches Clint uns hier einquartieren will, hat diese Bezeichnung wirklich nicht verdient. Auch Ratten haben Würde.
„Ist doch nur eine Nacht“ versucht Clint seinen Misserfolg zu rechtfertigen.
Na immerhin gibt es einen Fernseher. Leider keine europäischen Sender, aber ein Fernseher. Leider nur drei Sender, aber ein Fernseher. Leider ist keiner der Sender auf englisch, sondern alle auf Afrikaans, aber es ist ein Fernseher. Nach dem Essen im Rattenloch-Café begeben wir uns in unser Bett. Ja, ich benutze bewusst den Singular. Bett. Verdammter Clint.
Ein „Kikeriki“ später waren wir allesamt hellwach. Nicht, weil der Hahn so laut gekräht hat, sondern weil wir nicht wirklich schlafen konnten. Außerdem ist es bereits 13 Uhr, und der Hahnenruf erfolgte von blutigen Tierkämpfen im Hinterhof, wo vermeidliches Drogengeld verspielt wird. Aber genug der Touristenattraktionen, es wird Zeit für die wirkliche Kultur Südafrikas!
„Genug der Touristenattraktionen. Es wird Zeit für Fußball!“
Kaum hatte ich das gesagt, sitzen wir auch schon in unserer Mietklapperkiste. Clint navigiert zielsicher auf den Stadionparkplatz, während Steffen sich eine Strategie für die Spielverpflegung bereit legt. Wir werden nach unseren Tickets gefragt, ich werde von Clint, Steffen und sechs weiteren, in Uniformen gekleideten, Augenpaaren angeschaut, und lächle selbstsicher zurück, souverän in die Innentasche meiner Wildlederjacke greifend. Und da sind sie: Drei druckfrische Tickets.
Komischerweise sind die Studentenaugen die einzigen, die noch mit einem Lächeln unterwegs sind. Wie sich herausstellt, sind die Tickets den uniformierten Augen etwas ZU druckfrisch. Ticket_Mieze_09 hat wohl doch einen guten Schnitt gemacht. Sie hat mir Fälschungen angedreht.
Immerhin gibt es in der Arrestzelle einen Fernseher. Zwar nur ein Programm auf Afrikaans, aber es ist und bleibt ein Fernseher. Und wir können das Fußballspiel sehen. Ich fühle mich in meinen Traum im Flugzeug zurückversetzt. Diesmal schreckt mich der Torschrei drei Zellen weiter auf. Clint scheint auch Fernsehen zu schauen. Denn schon wieder sitzen ein Besoffener und eine dicke Frau zwischen uns.
Aber der Tomatensaft ist gut.
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