Die Kultusministerkonferenz hat kürzlich beschlossen, das Abitur und alle anderen Schulabschlussprüfungen trotz Corona und trotz der vielen Schwierigkeiten beim digitalen Unterricht stattfinden zu lassen. Ausgangspunkt war der Vorschlag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Abiturprüfungen in diesem Jahr aufgrund der zu erwarteten schweren dritten Welle der Corona-Pandemie ausfallen zu lassen.
Ich bin selbst in der Situation, das Fachabitur machen zu müssen und das nach einem Jahr Wechselunterricht und digitalen Unterrichts. Ist die Entscheidung tatsächlich richtig, die Abschlussprüfungen mit aller Gewalt stattfinden zu lassen, obwohl der komplette Jahrgang nicht mal annähernd die Prüfungsvorbereitung bekommen hat, wie alle Jahrgänge davor?
Was wäre die Alternative?
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat hierzu vorgeschlagen, die Leistungen aus dem Unterricht zur Grundlage der Notengebung zu verwenden. Da ich selbst Betroffene bin, habe ich mir natürlich auch meine Gedanken dazu gemacht. Und ich muss sagen, dass bei dem Thema tatsächlich zwei Herzen in meiner Brust schlagen. Denn es ist ja klar, dass Abschlussprüfungen dazugehören und ein wichtiger Bestandteil eines Schulabschlusses ist.
Aber die Realität sieht momentan eben anders aus. Wir leben in einer Pandemie und die aktuelle, dritte Welle kann auch noch sehr heftig werden. Das Problem bei einem Abitur ohne Prüfung ist halt die Gefahr, dass es in der Zukunft als Corona-Abitur ohne Wert abgestempelt wird. Das will ich natürlich auch nicht. Obwohl ich das als sehr unfair empfinde, denn wenn Schüler unter schwierigsten Verhältnissen, mit überwiegend Distanzunterricht und zusätzlichen Stresssituation mit Maske und der ewigen Angst, sich in der Schule anstecken zu können, einen Schulabschluss schafft, der hat einfach bewiesen, dass er unter größtem Stress richtig Leistung bringen kann. Somit sollte eigentlich jeder Schulabschluss aus dem Jahr 2021 über jedem anderen Schulabschluss stehen, egal ob mit oder ohne Prüfungen.
Ich kann die Politik auch verstehen, wenn sie die Prüfungen unbedingt stattfinden lassen wollen. Jetzt kommt das „ABER“. Wie gesagt hatte mein Jahrgang fast nur digitalen Unterricht, somit ist es schonmal mit den Jahren davor nicht vergleichbar. Weder in der Qualität noch in der Quantität des Unterrichts. Der Grund für den Distanzunterricht war logischerweise die Ansteckungsgefahr mit Covid-19. Kann ich nachvollziehen. Aber bei Prüfungen sollen wir jetzt das Risiko trotzdem eingehen?
Wenn man die Prüfungen unbedingt durchziehen will, warum hat man dann nicht schon vorher die Voraussetzungen, für eine „sichere“ Schule machen können?
Warum hat man nicht alle Schüler und Lehrer der Abschlussklassen geimpft?
Ach so, da war ja was. Es sind ja viel zu wenige Impfdosen bestellt worden.
Warum ist nicht in jedem Klassenzimmer ein Luftfilter eingebaut?
Ach ja, das kostet ja Geld.
Für mich wären das zwei Voraussetzungen gewesen, für einen nahezu normalen Schulalltag für alle Schüler. Zumindest wesentlich besser als jetzt. Dann hätten wir aktuell keine Diskussion über die Qualität des Schulabschlusses und kein Schüler aus dem Jahrgang 2021 hätte einen Nachteil für seine Zukunft. Wäre doch perfekt gewesen.
Was haben wir stattdessen?
– Einen digitalen Unterricht, der oftmals seinen Namen nicht verdient. Schüler/innen aus sozial schwachen Familien habe hier noch mehr Nachteile. Denn nicht jeder Jugendliche kann sich einen Laptop oder Computer leisten und nicht jeder hat auch ein eigenes Zimmer, um ungestört lernen zu können.
– Corona-Tests im überfüllten Schulflur, sind auch so eine Sache. Bringt natürlich wahnsinnig viel, wenn der hinter mir dann positiv getestet wurde.
– Und nicht zu vergessen das LÜFTEN!
Lüften ist an den Schulen tatsächlich die Hauptmaßnahme gegen Covid-19. Wir leben hier in Deutschland, einem der reichsten Länder auf unserem Planeten. Mehr will ich da gar nicht mehr sagen. Nur so viel. Lüften ist für mich die gleiche sinnvolle Maßnahme, wie der Ratschlag bei einem Atomangriff unter den Tisch zu kriechen.
Letztendlich komme ich nur zu einem Entschluss. Die Politik hat ja einen Grund, die Abschlussprüfungen durchziehen zu wollen. Zum Wohle der Schüler kann es ja nicht sein, denn wie gesagt, dann hätte man in den Schulen die nötigen Voraussetzungen für regelmäßigen Unterricht herstellen können. Ich denke eher, dass man durch die Prüfungen eine heile Schulwelt darstellen und die Schulpolitik so besser verkaufen will.
Ich warte nur noch auf eine Nachricht der Kultusminister, die Abschlussprüfungen in diesem Jahr in den Sommer zu verschieben, um sie dann im Pausenhof abhalten zu können. Denn mehr frische Luft geht nicht und somit kann man sich sogar noch das Lüften sparen. Ich sag nur Effizienz 2.0.
Zum Schluss bleibt mir eigentlich nur eines übrig, denn am Ende werden immer die Noten vergeben. Und wenn ich die Corona-Schulpolitik bewerten müsste, dann muss ich sagen: Leider haben sie ihr Klassenziel nicht erreicht!
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