Gedanken einer 18-Jährigen: Schülerleben in Zeiten der Coronakrise Livia-Portrait-kolumne-2020

Die Schulen sind ja nicht nur in München schon länger geschlossen. Am Donnerstag, dem 12. März 2020, war für mich mein letzter „realer“ Schultag. Mitten in meinem Fachpraktikum an einer Grundschule wurde der Unterricht plötzlich abgebrochen und alle Schüler und Praktikanten nach Hause geschickt. Seitdem praktizieren wir das sogenannte „Home-Learning“. Natürlich dauerte es ein paar Tage, bis sich die Schulen und Lehrer darauf eingestellt hatten. Aber auf meiner FOS lief das ziemlich flott und anfangs reibungslos.

Als am Samstag, dem 21. März 2020, die Ausgangsbeschränkung in Bayern und somit auch bei uns in München startete, war das schon erst einmal ein komisches Gefühl. Die monotonen Lautsprecher-Durchsagen der vorbeifahrenden Feuerwehrautos waren schon irgendwie surreal. Es fühlte sich fast wie bei einem Katastrophenfilm an, als wenn im nächsten Moment durch den Virus mutierte Zombies um die Ecke laufen würden. Und da habe ich mir gewünscht, weniger von diesen Filmen gesehen zu haben.

Für mich als Schülerin war und ist das immer noch eine sehr große Veränderung und Herausforderung, wenn die Schulen geschlossen sind und es nur „Home-Learning“ gibt. In der ersten Zeit gab es immer wieder auch junge Menschen, die sich nicht an die Empfehlung der Regierung hielten und sich trotzdem in Gruppen trafen. Das Fehlverhalten Einzelner haben aber auch die meisten von uns stark kritisiert. Langsam aber haben es die allermeisten aus meiner Generation verstanden, warum eine Verbreitung des Virus so gefährlich ist. Die Fähigkeit, sich umzustellen und eine neue Realität zu akzeptieren, ist nicht einfach und ich glaube, das gilt für jede Altersklasse.

Deshalb habe ich mich auch so geärgert, als EDEKA-Südwest-Einzelhändler Dieter Hieber über die „FRIDAY FOR FUTURE“-Generation auf seiner Homepage regelrecht herzog. Nach seiner Behauptung hielten sich alle aus meiner Generation nicht an die Beschränkungen und machen nur Partys:

„An die FRIDAY FOR FUTURE Generation, vor einigen Wochen habt Ihr noch fleißig demonstriert und euch beschwert, dass man Euch die Zukunft gestohlen hat. Aktuell sind viele von Euch leider sehr unvernünftig, kaufen gruppenweise in unseren Märkten ein und machen kleine Privatpartys. Unsere Bundeskanzlerin hat die Lage durch Corona mit dem 2. Weltkrieg verglichen. Vielleicht nehmt ihr Eure Handys, Tabletts und Computer und schaut Euch diese Rede alle an und denkt darüber nach. Eure Generation ist zum Glück anscheinend immun gegen den Corona Virus. Aber der wirtschaftliche Schaden der unserem Land und der Welt widerfährt, den dürft Ihr, Eure Kinder und Enkel ausbaden. Denkt da mal darüber nach. Ihr wollt Verantwortung und Mitbestimmung? Dann bleibt einfach Zuhause und helft mit, diese schwere Zeit zu überstehen. Wenn Ihr Euch nützlich machen wollt, dann helft den Menschen in der Risikogruppe und geht für sie einkaufen. Helft Euren Eltern und den Menschen in Eurer Nachbarschaft. Haltet Euch an die Vorgaben vom Staat. Bleibt Zuhause! Wer sich weiterhin nützlich machen will, kann den Landwirten helfen z.B. die Spargelernte einzufahren. Die Erntehelfer aus Polen, Rumänien und Co. können wahrscheinlich nicht ins Land einreisen. Auch gibt es viele Tiere die versorgt werden müssen. Wir werden bei uns in den Märkten an Jugendliche die nur Party-Utensilien kaufen wollen, wie REDBULL, Alkohol, Chips und Co. nicht mehr verkaufen. Jetzt gilt es die Lebensmittelversorgung für die nächsten Woche aufrecht zu halten und nicht für Euren FUN zu sorgen. Unsere Mitarbeiter gehen jeden Tag ein Risiko ein und machen Überstunden ohne Ende. Das machen Sie gerne und sie wissen, wie wichtig dies für die nächsten Wochen ist. Aber wir werden keine Waren mehr an Party-People verkaufen. Ich hoffe die anderen Lebensmittel-Geschäfte schließen sich mir an.“

Wer mich kennt, weiß natürlich, dass ich mich mit sowas nicht abfinde und so habe ich Herrn Hieber auch gleich angeschrieben. In seiner Antwort hat er mir erst einmal seinen „Entschuldigungs-Kommentar“ geschickt, den er auch auf seiner Seite gepostet hatte. Mein Vorwurf an Herrn Hieber war, dass hier ein Generationenkonflikt angefeuert wird, den wir in der jetzigen Situation nicht brauchen können. Wie er mir auch schrieb, hat er anscheinend vielen älteren Menschen aus dem Herzen gesprochen. Weil sie zum Teil auch verletzt waren von den Vorwürfen der Jugend, als Umweltsünder betitelt zu werden und zum anderen, weil es nicht allen Jugendlichen abgenommen wird, dass sie aus Überzeugung an FFF-Demos teilnehmen. Und da werden verschiedene Dinge vermischt, die nicht zusammengehören. Was hat bitte FFF mit dem Coronavirus zu tun? Natürlich hat auch FFF Fehler gemacht, mit dem Vorwurf an die ältere Generation und das wurde auch zurecht kritisiert, auch von mir. Aber hier jetzt ins gleiche Horn zu blasen, bringt gar nichts.

Dass einige aus meiner Generation besonders am Anfang der Pandemie Probleme hatten, ist nicht abzustreiten. Aber jetzt die ältere Generation als heilig zu bezeichnen, ist totaler Blödsinn. Alle hatten und haben ihre Problem mit der Ausgangsbeschränkung bzw. Kontaktsperre, aber ich glaube, insgesamt wird das mittlerweile sehr gut umgesetzt. Wir sollten uns, denke ich, nicht gegenseitig Vorwürfe machen, sondern gemeinsam handeln. Es gibt auch immer mehr junge Menschen, die für ältere und kranke Menschen zum Einkaufen gehen. Es ist einfach, alle über einen Kamm zu scheren, aber es ist nun mal einfach nicht richtig.

Auch wenn ich mich zum damaligen Zeitpunkt tierisch über solche Kommentare geärgert habe, ging das Schülerleben ja trotzdem weiter. Mitte März bekamen wir schon unsere ersten Arbeitsaufträge über die „Online-Klassen-Gruppe“. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten, wie es die verschiedenen Schulen machen. Es gibt Schulen, die sammeln die Arbeitsaufträge aller Fächer und schicken es am Anfang der Woche über Mail oder WhatsApp an ihre Schüler. An meiner Schule haben die einzelnen Lehrer Kontakt zu jedem ihrer Schüler aufgenommen und schicken ihre Arbeitsaufträge direkt an die einzelnen Klassenmitglieder. Was jetzt besser oder schlechter ist – schwer zu sagen. Aber wahrscheinlich ist das total egal. Denn langweilig wird es uns Schülern mit den vielen Arbeitsaufträgen mit Sicherheit nicht.

Bei mir ist es so, dass wir wirklich sehr viele Arbeitsaufträge bekommen. Der Kontakt zu den Lehrern ist auch sehr gut. Aber das Problem dabei ist einfach, dass es ein großer Unterschied ist, ob man alleine lernt oder innerhalb einer Gruppe. Denn lernen ist ja nicht nur, etwas auswendig einstudieren, sondern, zu verstehen. Und da sind Verständnisfragen an den Lehrer oder einfach nur Gespräche mit Mitschülern unersetzlich. Und das fehlt jetzt und kein Erklärvideo kann das ersetzen. Im Laufe der Tage und Wochen summieren sich nicht nur die Arbeitsaufträge, sondern auch die Verständnisprobleme dazu. Die Unsicherheit nimmt unter uns Schülern immer mehr zu. Das bekomme ich natürlich auch aus meinem Freundeskreis mit. Die Rückmeldungen sind alle gleich und ganz unabhängig von Schulen.

Eine Freundin von mir, die in diesem Jahr ihr Abitur macht, weint zum Beispiel die ganze Zeit. Einfach aufgrund der Unsicherheit, die über jedem/r Schüler/in schwebt. Nämlich die Angst, durch diese Situation das Ziel nicht zu schaffen. Ebenso über das, was ihr genommen wurde. Nämlich eine faire Möglichkeit auf Wissensvermittlung und eine faire Bewertung der Leistung. Genauso wie die Abi-Feier, auf die sich viele schon ein ganzes Jahr freuen. Für viele meiner Generation fühlt sich das an, als würde gerade der Boden unter den Füßen weggezogen. Und keiner hat eine Antwort, wie es weiter gehen soll. Es ist kein schönes Gefühl, wenn ich mit einer Freundin „Facetime“ und sie deswegen immer wieder zum Weinen anfängt. Ich hätte mir von der Politik daher schon etwas mehr Einfühlungsvermögen gewünscht. Ein paar Sätze, die uns Schüler/innen zeigen, dass daran gearbeitet wird und keiner Angst haben muss.

Man darf nicht vergessen, der Abschluss einer Schule beeinflusst das gesamte Leben. Deshalb finde ich die teilweise heftigen Reaktionen und Ängste absolut gerechtfertigt. Ich würde so gerne sagen „alles wird gut“ aber ich weiß es eben nicht, ob das so sein wird. Dennoch glaube ich ganz fest daran!

Junior-Bloggerin Livia (Website) aus München ist trotz ihrer jungen Jahre bereits eine alte Häsin hier. Als Erste Kolumnisten ist sie bereits seit September 2015 hier aktiv und schreibt monatlich über gesellschaftliche Dinge aus der Sicht einer modernen Jugendlichen.

3 Kommentare

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