Miley Cyrus kreierte mit dem Song „Mother’s Daughter“ eine selbsternannte feministische Hymne und zeigt nun im Video, was sie damit meint.
Mitte 2018 schockte Miley Cyrus ihre digitale Fangemeinde, indem sie alle bisherigen Posts auf ihrem Instagram-Account löschte. Es wirkte damit wie ein Löschen ihrer „wilden“ Zeit. Eine Zeit, in der sie ihre Emanzipation durch einen kurzen Haarschnitt, viel nackte Haut und eine herausgestreckte Zunge zeigte. Eine Zeit voller sinnloser und skurril anmutender Mash-ups, Memes und Collagen, voller fliegender Dildos, Katzenbabies, Achselhaare, Pickel und Marihuana. Nicht zu Unrecht betitelte sie Annekathrin Kohout als „Queen des Social-Media-Pop“. Mit dieser Zeit schien es mit dem Album „Younger Now“ vorbei. Miley machte Country Pop und postete digital konformere Fotos von sich. Keine Memes, keine Collagen, keine fliegenden Dildos mehr. Der_die interessierte Follower_in witterte jedoch schon anhand des Teasers zu Mileys neuen Album (Achtung Doppeldeutigkeit!) „She is coming“ (Partnerlink), dass das neue Album wieder um einiges provokanter werden könnte.
Bei dem Teaser orientierte sich Cyrus an die Bildästhetik der Netzfeminstinnen Stephanie Sarley und Arvida Byström, ohne diese in den Credits zu erwähnen. Miley wird in dem Teaser unterstützt von Früchten, die sie isst, anleckt, ansaugt, an ihren Körper reibt oder als Vulva-Lookalike-Früchte fingert.
Man versprach sich somit schon „recht viel“ von dem Video zur Singleauskopplung „Mother’s Daughter“. Die selbstangekündigte feministische Hymne besticht durch Mileys Tanzeinlagen in einem von ihr getragenen roten Ganzkörperanzug aus Latex. Als Accessoire dienen hierzu Metallringe und lange spitze Fingernägel, die bei genauerem Hinsehen wohl Bestandteil des Latexanzuges sind und wie animalische Krallen wirken. Zu den geschnürten Lackstiefeln sticht vor allem eine aus spitzen metallischen Nieten gebildete Vagina Dentata zwischen Mileys Beinen hervor. Die Vagina Dentata fand besondere Bekanntheit durch Sigmund Freund, der Sagen und Mythen über die Vagina, die anhand der Erzählungen als Waffe fungierte, um mögliche Sexualpartner fernzuhalten und diese zu verletzen oder gar zu töten, zusammenfasste und diese unter den Begriff der „Vagina Dentata“ ordnete. Trotz des gefährlich anmutenden Latexanzugs tanzt Miley mal sexuell lasziv, mal expressionistisch. Sie fasst sich an ihre Brüste und an ihre Vagina Dentata und ist somit nicht von den Schutzmaßnahmen des Latexanzuges betroffen. Damit bekommt die Tanzeinlage eine selbstbestimmte Komponente. Regisseur Alexandre Moors sieht in dem Latexanzug ebenfalls ein Spiel mit sexuellen Codes. So bietet der sexuell aufgeladene Latexanzug auf eine gewisse Weise Lust, aber fungiert hier gleichermaßen als Schutz bzw. als eine Art Rüstung. Auch die von Miley getragene große Sonnenbrille sowie der Hut, dessen Plastikschirm fast ihr ganzes Gesicht verdeckt, lassen sich als Schutzmaßnahmen vor dem Außen verstehen, ganz im Sinne von: „Mein Körper gehört mir“.
Die von den Medien vielfach besprochenen Assoziationen mit Britney Spears‘ rotem Latexanzug aus dem Video „Oops!… I did it again“ ist somit kaum haltbar. Viel eher erinnert die Performance in Lack an Madonnas Video zu „Human Nature“, in dem sie mit sadomasochistischen Utensilien immer wieder „Express yourself, don’t repress yourself“ hauchte.
Entsprechend der Ästhetik des Netzfeminsmus geht es in Cyrus‘ Video insbesondere darum, Tabus zu brechen. Dies zeigt sich beispielsweise plakativ anhand der Darstellung einer sichtbaren Binde in einem transparenten mit Herzchen bestickten Slip, aber auch durch die Darstellung von pinken Plastikbrüsten mit Nippeln, die sich gegeneinander reiben. Die Inszenierung von Farben, Formen und Gegenständen, die „girly“ konnotiert sind, in Verbindung mit Dingen, die Stärke, Sexualität und Härte symbolisieren, sind typisch für die feministische Bildästhetik im Netzfeminismus und bilden den visuellen Schwerpunkt innerhalb der Inszenierung. Der Tabubruch zeigt sich auch textlich, so heißt es in der Hook „don’t fuck with my freedom“. Eine Kampfansage, die durch das „fuck“ die Emotionalität verstärkt.
Das Musikvideo zu „Mother’s Daughter“ ist in roten Farbtönen gehalten und bildet somit einen stetigen Kontrast zu sinnlichen, aber auch aggressiven Farbkonnotationen innerhalb der Farbfamilie. Es werden in dem Video diverse Statements eingeblendet. „Every woman is a riot“ macht den Anfang und zieht sich thematisch durch das ganze Video. Es werden verschiedene Menschen gezeigt, die nicht in die gängigen Darstellungspraxen passen. Die Auswahl ist hierbei augenscheinlich sehr divers ausgerichtet. So heißt es „non-binary (people) celebrate the female and gender-non-conforming body in all its forms“ und etwas genauer „the video is about the woman’s body — the right to own your own body and make it free from the male gaze, in any way shape and form”.
Man sieht hierbei beispielsweise eine adipöse Frau nackt, in malerisch inszenierter, halbliegender Pose auf einem Kanapee, sowie eine stillende Mutter mit Tattoos und offener Jeans bekleidet. Sie trägt dabei Kopfschmuck, der Assoziationen zur heiligen Maria erweckt. Aber auch eine Frau mit Glatze und sadomasochistisch anmutender Unterwäsche, ein junges Mädchen als Superheldin sowie eine afroamerikanische, behinderte Transfrau in einem elektrischen Rollstuhl sind unter anderem Teil des Videos. Die Darstellerinnen sind Aktivistinnen. Das weiß man, weil die Personen nicht als bloße Statistinnen auftreten. Miley lässt sie nicht nur im Chorus „mitsingen“, sondern lässt sie auf ihrem Instagram Account zu Wort kommen. Die zu Protagonistinnen erhobenen Darstellerinnen erzählen von ihrem ganz eigenen Kampf um Selbstbestimmung und Empowerment. Sie werden somit visuell repräsentiert, dürfen jedoch auch partizipieren und werden damit zum aktiven Bestandteil des Videoformats.
Unter ihnen ist auch Mileys Mutter Tish Cyrus. Im Video sitzen Mutter und Tochter auf einem barocken Sofa zusammen. Mileys Kopf ruht auf Tishs Schulter. Beide tragen offensichtlich Outfits und Schmuck der Marke Chanel, wobei selbst die Tasse, aus der Tish Espresso trinkt, von Chanel ist. Es wird somit ein deutlicher Reichtum der Familie Cyrus suggeriert. Auf Instagram wird deutlich, dass Tish Cyrus diesen Reichtum aus eigener Kraft verdient hat (ganz im Sinne des American Dreams). Die Inszenierung von Mutter und Tochter suggeriert jedoch noch mehr als selbsterworbenen Reichtum. Tish Cyrus symbolisiert die treibende Kraft, die durch positive Vorbilder und Unterstützung der Mutter entsteht. So singt Miley hierzu:
„My mama always told me that I’d make it. That I’d make it, so I made it. I put my back into and my heart in it. So I did it, yeah, I did it“
Durch die Inklusion der Darstellerinnen zeigt Miley auf, dass es Vorbilder gibt, dass man mit seiner „Andersartigkeit“ nicht alleine ist und sich gegenseitig unterstützen und vernetzen kann. Durch den visuellen Bezug des gestillten Babys und der jungen Superheldin geht es im Clip zu „Mother’s Daughter“ jedoch auch ganz deutlich darum, gerade die junge Generation zu unterstützen, ihre eigene Freiheit zu verteidigen und zu leben. So zeigt eine Sequenz Miley auf einem abgebauten Karussellpferd. Miley trägt einen goldenen Metall BH sowie eine Art Rüstung über dem linken Arm. In der rechten Hand hält sie ein Schwert, welches sie in kämpferischer Pose in die Luft hebt. Zitiert wird hier bildnerisch und in ironischer Weise die Freiheitskämpferin Jeanne d’Arc. Der Kontrast zwischen dem kindlich und süß anmutenden Karusellpferd und der kämpferischen Pose lässt sich auf zweifache Art lesen. Einmal kann es demnach interpretiert werden, dass der Kampf um die eigene Freiheit schon in der frühen Kindheit beginnt bzw. beginnen soll. Andererseits kann es auch als ein Kampf auf der Mikroebene verstanden werden. Es muss im Kontext der Jeanne d’Arc nicht gleich der Krieg sein, sondern ein Kampf des Alltags, des Kleinen. Man braucht kein echtes Pferd, um eine Kämpferin zu sein.
Der Kampf um die Freiheit bekommt mit dem direkten textuellen sowie visuellen Bezug zu Femen die entscheidende Verbindungsebene zwischen Mikro- und Makroebene. In einigen Sequenzen sieht man Femen-Aktivistinnen, deren Oberkörper mit „I am free“ und „my bodies, my rules“ beschriftet sind. Im visuellen Kontrast zur sonstigen Inszenierung werden die Sequenzen in rot-blauen Rauch getaucht. Der Hintergrund ist dunkel, das Licht flackert und das Video erreicht seinen dramatischen Höhepunkt. Man sieht, wie die Femen-Aktivistinnen festgehalten werden, sie wehren sich mit dem gesamten Körper. Innerhalb der schnellen Schnitte sieht man Miley weinen. Die kurzen Sequenzen werden mit „L’ Héroïsme de la chair“ eingeleitet, dem französischen Titel der Femen-Performance von 2013.
Der direkte Bezug zu Femen macht deutlich, welche Bedeutung und Wirkungseffekte es haben kann, wenn man für seine Rechte kämpft. Der Latexanzug von Miley spiegelt wohl gerade die Tatsache wider, dass man Schutz und Stärke braucht, um die Freiheit zu haben, so sein zu dürfen, wie man ist und stellt somit auch eine Analogie zu Miley Mutter dar. Der Bezug zu Femen ist laut Regisseur Moors auch als Tribut früherer Feministinnen zu verstehen, so sagt er „these women put their bodies on the front lines to fight for what is right, and I have a deep respect and fascination for them” (ebd.).
Es war abzusehen, dass bei diesem Video Schlagzeilen wie „Geily Miley ist zurück“ (n-tv) oder „Latex, Muttermilch & Sex: Miley provoziert mit Video“ (heute.at) kommen werden. Auch die übliche Kritik, es handele sich lediglich um Selbstvermarktungs-Strategien, als um aufrichtigen feministischen Aktionismus, ist im Popfeminismus immanent. Natürlich kann man hier auch von der sehr plakativen Zurschaustellung von Diversität sprechen. Dabei frage ich mich aber, wie oft man afroamerikanische Transfrauen im Rollstuhl in den Medien sieht. Mir ist es egal, ob es plakativ ist oder nicht. Ich finde, dass eine mediale Repräsentation von Randgruppen an der Zeit ist. Und auch, wenn Miley mit dem Song weitere Millionen macht, soll mir das nur recht sein. Miley Cyrus hat 95,5 Millionen Follower auf Instagram, wenn nur einige davon angeregt werden, sich durch den Song und durch das Video näher mit feministischen Themen auseinanderzusetzen oder die Aktionen von Femen nachzurecherchieren, ist das gut. Auch wenn der Feminismus eventuell nur zur bloßen „Signature Brand“ von Miley und auch von vielen als zu oberflächlich empfunden wird, finde ich es besser, als wie Kim Kardashian West die Reichweite zu nutzen, um maximal abdeckendes Make up, Shapewear und Lollis, die den Appetit zügeln, zu vermarkten.
Es ist noch lange nicht so, als würden Menschen nicht mit der Freiheit anderer Menschen spielen, denn: they fuck with our freedom. Eine endlos wirkend wiederholende Hook, wie die von Miley, brennt sich dabei immerhin in das Gedächtnis als ein Appell zu kämpfen, und sei es auch nur durch das Folgen von Aktivistinnen in Social Media. Es ist trotzdem besser als nichts. Alexandre Moors fasst passend zusammen:
„It’s a broad message, and we’re not trying to be dogmatic. But we’re living in difficult times in America, and what I get from this video is that it injects a lot of energy and determination and the right fuel for the struggle.“ (ebd.)
richtig, richtig, richtig gut geschrieben! mir gefällt deine interpretation ausserordentlich, vorallem dein fazit, dass es keine rolle spielt, wie „oberflächlich“ es ist – ich bin mir sicher, dass sie mit dem lied und video einige menschen berührt und inspiriert. und selbst wenn es nur eine einzige person von ihren 95mio followern ist – dann hat es sich doch schon gelohnt. merci für den text – echt gut. cheers!
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