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Nach nunmehr 18 Jahren Musik ist Deichkind erwachsen geworden – keine Bange, musikalisch in keinster Weise. Aber eben unabhängig. Mit Sultan Günther Music wurde ein eigenes Label gegründet, was dem ausgeflippten Ensemble eigentlich jeglichen künstlerischen Freiraum bietet um so richtig durchzudrehen. Doch mit der ersten in Eigenregie veröffentlichten Platte sind sie zwar textlich und thematisch mal wieder ganz vorne in der Hype- und Trend-Skala, bieten musikalisch aber eher normale Hausmannskost.
Track by Track
Alles startet mit einem Deichkind-typischen Beat. Die Show kann beginnen – und alle so: yeah! Die erste Single So’ne Musik ist eine durchaus passende Selbstbefeierung, die inhaltlich passt und sicherlich auch stimmungstechnisch ein guter Einstand ist. Ein Live-Brett dürfte das jedoch nicht werden. Beim zweiten Track – und zeitgleich auch der zweiten Single-Auskopplung – Denken Sie Groß werden wir vier Minuten lang motiviert. Eine schöne Persiflage auf all die Blasen-blubberer da draußen – und eben tatsächlich auch ein bisschen Anstachelung, etwas zu erreichen. Positiv hervorzuheben: das Gitarren-Solo gen Ende.
Für mich absolut die dritte (oder vierte?) Single-Auskopplung ist das folgende Like Mich Am Arsch. Ein billiges Wortspiel plus hochaktueller Social Media-Bezug – das Teil sollte sich, gelungenes Musikvideo vorausgesetzt, ganz von alleine teilen. Dazu erneut eine gelungene Kritik verpackt in gar nicht mal so viel Sarkasmus. Klare Ansage. Sogar noch eine Stufe durchkonzeptionierter wird es mit der Werbepause namens Powered By Emotion. Ein Text fast ausschließlich aus Werbe-Claims. Ein cleveres Ratespiel.
„Wir woll’n nur an dein Geld ran – war schon immer so, frag mal deine Eltern!“
Porzellan Und Elefanten ist ein lyrisches Spiel der Gegensätze. Dinge, die vermeintlich nicht zusammen passen werden gekonnt in Reihung gesetzt – und irgendwie entsteht dann so etwas wie eine Liebes-Ballade. Eine liebevolle Hymne an ein einzelnes Bandmitglied folgt darauf. Deichkind hat Ferris – Was Habt Ihr? Tatsächlich einer der wenigen Tracks bisher, der im Refrain etwas Krach wagt – könnte live tatsächlich funktionieren.
Für mich einer der besten Tracks der Platte ist Mehr Als Lebensgefährlich. Das muss unbedingt als Clip in der Form umgesetzt werden, dass die Probleme vor Bildern aus der dritten Welt gezeigt werden. First World Problems am laufenden Band und eine schönes Darbietung, dass das doch eigentlich alles sowas. von. scheiß. egal. ist. Sehr gefällig. Naschfuchs richtet sich an die wohl größte Konsumentengruppe von Drogen: Süßigkeiten-Essern. Nette Idee, für mich textlich aber mit das belangloseste des Albums. Deutlich cleverer kommt Die Welt Ist Fertig daher. Eine Zukunftsvision, eine harte Realität – eine fertige Welt. Mal völlig fertig, mal fix und fertig, am Ende leider fertig. Schöne Bestandsaufnahme, eingängiger Sound – passt.
Der Titeltrack Niveau Weshalb Warum spielt dann die Sesamstraßen-Karte und zeigt, dass man eben dumm bleibt, wenn man Deichkind fragt. Hm, joa… ganz nett, mehr aber leider nicht. Hauptsache Nichts Mit Menschen wird vermutlich die Hymne für alle Menschenhasser und „Forever Aloner“ da draußen. Eine melancholische Sichtweise auf die Welt, die leider viele teilen. Doch bevor wir alle einschlafen, folgt mit Oma Gib Handtasche tatsächlich noch einmal richtiger Krach. Jumpstyle-mäßiger Elektro-Sound, der mit genau drei gequälten Worten auskommt, dafür aber jede Menge Kopfschmerzpotenzial mitbringt – und sicher live das Publikum wegblasen dürfte als Interlude. Für mich schon wieder zu krass, vor allem im Kontrast zum Rest der Platte – aber wenigstens ein Ende mit Knall.
Fazit
Und das war’s auch schon. Ein Dutzend Lieder, die größtenteils textlich sehr versiert und smart aufgebaut sind, musikalisch aber oft nicht richtig durchkommen. Alles wirkt etwas abgerundeter und poppiger als auf Befehl Von Ganz Unten. Dazu fehlen schlicht die richtigen Hits, die Kracher, die über kurz oder lang jeder kennt – auch wenn man es gar nicht möchte. Daher zwar Hip Hop-technisch durchaus positiv zu betrachten, ob jetzt allerdings jeder klassische Deichkind-Fan drauf abfahren wird, sei dahin gestellt. Im Kopf bleiben die Songs aber allemal, das kann ich euch sagen.
Tracklist:
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Tourdaten:
08.04.2015 Lingen |
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