Neue Kolumne von Owley Samter

Das gelbe Gold

Das gelbe Gold Aromat_Owley_900

Vor noch nicht allzu langer Zeit weilte eine Freundin von mir für ein Austauschsemester im Ausland. Ganz die gute Seele, die ich bin, beschloss ich, ihr ein Paket mit Dingen, die sie von zu Hause vermisst, zu schnüren. Ich fragte sie also nach ihren Wünschen und rechnete insgeheim schon damit, dass sie um Schokolade, Käse oder Ähnliches bitten würde. Doch weit gefehlt, denn meiner Freundin fehlte im Ausland nur eine Sache: Das Aromat.

Vor etwas mehr als sechzig Jahren von der Firma Knorr erfunden, hat sich das Aromat klammheimlich an die Spitze der schweizerischen Nahrungspyramide gehievt. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich beim Aromat um einen Geschmackverstärker, der nicht zuletzt wegen seines hohen Glutamatgehalts seit Jahren in der Kritik steht. Aber wie jedes im Nationalbewusstsein verankerte Gift wird wohl auch das Aromat so schnell nicht vom Speiseplan von Herr und Frau Schweizer gestrichen werden können. Das gelbe Pulver in der ikonischen Streudose hat seine Vorherrschaft in der eidgenössischen Küche zementiert und fehlt mittlerweile in fast keinem Haushalt mehr. Es heisst, dass in der Schweiz jährlich sieben Millionen Aromatdosen verkauft werden – also ebensoviele, wie mein Land Einwohner hat.

Ist die Suppe fad? Fehlt der Sauce der Pep? Aromat richtet’s. Die von manchen auch als gelbes Gold beschworene Streuwürze lässt mangelhafte Kochkunst schmackhaft erscheinen. Und was wäre erst das Osterfest ohne Aromat? Wo andere Salz über ihre Ostereier streuen, greifen wahre Helveten zum Nationalgewürz. Man munkelt auch, dass am Aromat schon die ein oder andere Beziehung gescheitert sein soll. Wir sind ja ohnehin nicht für unseren progressiven Geist bekannt, aber wehe dem, der die Bedeutung dieses Geschmackverstärkers in Frage stellt. Da hört der Spass dann schnell auf.

Natürlich ist meine gute Freundin bei Weitem nicht die Einzige, die im Ausland das geliebte Aromat vermisst. Manch ein Schweizer bringt auf Reisen eine kleine Dose des gelben Pulvers (es gibt sie natürlich genau zu diesem Zweck auch im reisegepäcktauglichen Kleinformat) mit, um dann unter irritierten und vorwurfsvollen Blicken des ausländischen Servicepersonals sein Essen nachzuwürzen. Beim Restaurant auf dem Gotthardpass sollen auf den Aussentischchen sogar immer wieder die Aromatdöschen verschwinden. Verständlich. Vermutlich werden sich die ins südliche Ausland reisenden Schweizer schlagartig der Tatsache bewusst, dass sie sich auf dem Weg in eine aromatfreie Zone befinden. Das sind natürlich unmenschliche Aussichten für uns glutamatverliebten Helveten.

Interessanterweise scheint es ganz so, dass sich das Aromat im Ausland nicht wirklich durchsetzen konnte. Zumindest, wenn man von den Auslandschweizern, die ihre Streuwürze vermissen, absieht. Doch zumindest die Schweiz hat das Aromat fest im Griff – und das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern. In meinem Umfeld ist die nächste Generation bereits angefixt. Schon die Kleinsten wissen: So richtig gut schmecken Gurkenscheiben erst mit Aromat.

Der Zürcher Künstler Owley Samter (Website) schreibt und illustriert in seiner Kolumne über die Unterschiede und Vorurteile zwischen der Schweiz und Deutschland.
Beitrag von: Owley Mittwoch, 2. November 2016, 21:53 Uhr

4 Kommentare

  1. Maik says

    Klingt von der Anwendung her ein wenig wie Maggi, zumindest was das „hat man überall mal drüber gemacht, damit es würziger ist“… :)

  2. Roger says

    Herbamare wäre die gesündere Alternative.

  3. Pingback: Langweiledich.net – Owley.ch

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