Ein schrilles Quietschen zerreißt die kühle Stille unseres Treppenhauses. Man hört verschreckte Nachbarn zu ihren Türspionen schleichen. Das Quietschen war ich. Ein missglückter Versuch, ein lautes Loslachen zu unterdrücken. Der Grund ist der Inhalt unseres Briefkastens. Ein Brief. Für mich! So dick, dass ich ihn direkt neugierig geöffnet habe. Mehrere Tütchen Trockenhefe waren der Inhalt und somit der Auslöser für mein wenig damenhaftes Gepruste. Dieser Freundschaftsdienst überwand diverse Bundeslandgrenzen. Und das in Zeiten des “Social Distancing”. Wer hat sich diesen Begriff bloß ausgedacht?
Nun gut, ich gebe zu, dass die innerhäusliche Nachbarschaftshilfe momentan eher einem SEK-Vorstoß gleicht. Frieda, Witwe, 83 Jahre, 4. Stock, hat eine Vorliebe für Sprudelflaschen. In Kisten!
Nachbarschaftshilfe vor Corona: “Mensch Frieda, komm, gib mir die Kisten und hüpf auf meinen Rücken. Ich trage euch drei eben hoch!”
Nachbarschaftshilfe aktuell: “Treten Sie von den Kisten zurück! Hände da, wo ich sie sehen kann!”
Frieda läuft die Treppen zwar nun selbst, aber die Kisten gelangen trotzdem nach oben. Samt Distanz, allerdings eher physischer.
Meine Kinder haben sich bereits daran gewöhnt, vom Balkon aus zum Volk zu sprechen. Das hält nicht nur die Beziehung zu Oma und Opa in Schwung, sondern auch die Nachbarn auf dem Laufenden, was unser Privatleben angeht. Dass wir unsere Nachbarn derart entertainen, finde ich auch sehr sozial von uns. Genau wie Skypen, SMSen, WhatsApp-(Sprach-)Nachrichten und ganz oldschool: Telefonieren und Briefe schreiben. Natürlich steht auf unserer Post-Corona-Bucketlist “Omas knuddeln” ganz oben, aber wir stehen durchaus im Kontakt mit der Welt.
Geht es bei dem Begriff vielleicht gar nicht um die Distanz zwischen den einzelnen Individuen, sondern mehr auf die Menge bezogen? Wer am Wochenmarkt vorbeiradelt, kann diese These nicht bestätigen. Dort tummeln sich jede Menge Leute. Egal, ob mit Laufrad oder Rollator. Alles unter polizeilicher Aufsicht, damit eventuelle Nackenatmer direkt aussortiert werden können. “Raus in die Natur” dachten sich auch die Anwohner meiner Stadt am Ostersonntag. So sah man Rudel um Rudel von adretten Menschen in die Wiesen wandern. Begegnete so eine Ansammlung auf eine andere, so sah man deutlich, wie die Luft angehalten, der Kopf dezent zur Seite gedreht und schnell dran vorbeigehuscht wurde. Bei den besonders geübten Distanzierern sah man noch ein höfliches Kopfnicken in die ungefähre Richtung der anderen.
Letztendlich glaube ich aber, dass ich doch auf den Kern des “Social Distancing” gestoßen bin. Damit sind bestimmt die Menschen gemeint, die mit den Schultern zucken und sagen: “Wieso stellt ihr euch so an? An Covid-19 sterben doch nur die Alten und Schwachen. Natürliche Auslese”. Denn das ist tatsächlich das Distanzieren vom Sozialen. Das ist asozial.
#stayhome
#staysafe
Den Post hast du wirklich gut geschrieben. Ich liebe den Garten, den ich gerade habe, das macht das ganze erträglicher.
Liebe Grüße
Luisa von http://www.allaboutluisa.com/
Very Nice. Sehr schön zum lesen
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Ich danke euch für das positive Feedback. Wenn auch etwas verspätet.