Ich habe Rücken. Seit der Kindheit. Wirbelsäulen-Skoliose nennt sich das. Ein Bein ist minimal länger als das andere, dadurch ergibt sich ein Beckenschiefstand und die Wirbelsäule wird in sich schief gestellt. Einlagen und möglichst viel Sport für den Rücken standen auf dem Programm. Jetzt bin ich erwachsen und habe meine Arzt-Termine selbst in der Hand. Und arbeitsbedingt kaum Zeit, selbige zu befolgen. Bedeutet: zu wenig Besuche beim Doc, zu wenig Rückenstärkenden Sport, z.B. Schwimmen. Aber gibt es nicht für alles eine App?
Mit Valedo möchte die Hocoma AG aus der Schweiz per digitalem Spieltrieb all denen den Rücken stärken, denen der Gang zum Schwimmbad zu lang ist. Ich habe das Gerät getestet.
„Mit Valedo® können Sie spielerisch Ihre Rückenmuskulatur stabilisieren, Bewegungsabläufe verbessern und Rückenschmerzen lindern.“
Der Grundgedanke passt. Hat die Wii ihrer Zeit es geschafft, Sofa-Muffel zur Bewegung zu bringen, wurde das Thema jetzt wissenschaftlich angegangen. Speziell der Rückenbereich macht PC-Arbeitstieren wie mir zu schaffen. Mittels zweier Bewegungs-Sensoren, die an Steiß- und Brustbein angelegt werden kann per Bluetooth-Verbindung mit dem Mobile-Device (iPad 3 & höher, iPad Mini, iPhone 5 & höher; Android auch möglich) die Bewegung von Becken und Rücken in alle Richtungen verfolgt werden.
Die Aufgaben
Und eben auch übertragen auf das System. So müsst ihr einen Roboter durch Ringe, Nebelstreifen und über Felsvorsprünge geleiten. Das ist zunächst verdammt einfach und man kommt sich vor, wie ein Mann bei einem Armdrück-Turnier unter Viertklässlern. Das System beglückwünscht einen für die tolle Leistung, man will sich aber noch nicht sofort gut fühlen. Das war zu einfach. Erst nach und nach spielt man sich weitere Schwierigkeitsgrade frei – und wird zwangsläufig bei steigender Genauigkeit schlechter.
Das ist an sich ja logisch, soll man an seinen Herausforderungen wachsen und durch stetiges Training die Muskeln stärken, aber das System rechnet plump nach Erfolgspunkten und lässt einen so von Runde zu Runde zunächst schlechter aussehen. Nicht gerade motivierend. Vielleicht wäre hier ein Schwierigkeits-Multiplikator angebracht.
Ebenfalls frei spielt man weitere Bewegungsabschnitte. Die bilden Häuser und Gebäude im Valedo-Dorf. Ein lockerer und sympathischer Aufbau, der vor allem Kinder ansprechen dürfte. Alles wirkt bunt und lieblich und puppenhaft. Hier und da übertreibt es die Freischalt-Mechnik meiner Meinung nach etwas. Man muss erst jeweils einzelne Abschnitte einmalig machen, um den nächsten freizuschalten, braucht aber kleinere Variationen gar nicht machen. Hier sollte es entweder komplett frei sein oder zumindest bei den ersten Nutzungen einen Leitfaden geben. So wirkt es etwas halbgar und wenig durchdacht.
Die insgesamt 45 therapeutischen Bewegungen bieten in sich zwar Abwechslung, die Spielchen wirken jedoch teils etwas redundant. Immer ist es der gleiche Roboter, meist die gleichen Spiellandschaften und oft sogar die gleiche Mechanik. Hier hätte ich mir etwas mehr Varianz in der grafischen Umsetzung gewünscht. Vielleicht habe ich aber auch einfach noch nicht weit genug „gespielt“ und den „Endgegner“ noch nicht erreicht.
Am nächsten Tag nach dem ersten Durchgang habe ich jedenfalls erstaunlich viel gemerkt an der eigenen Rückenmuskelatur. Da wurde doch einiges aktiviert, was man so bei den Spielchen nicht gedacht hat. Man versinkt für einige Minuten im Gedanken, einem Sonnenstrahl möglichst genau zu verfolgen und merkt dabei gar nicht, wie sehr man den Rücken dabei verbiegt und auf Spannung hält. Mission erfüllt, würde ich sagen.
Die Technik
Die Sensoren funktionieren erstaunlich gut. Jegliche Bewegungen werden sehr kleinteilig und meist korrekt auf das System übertragen. Das liegt an den verbauten 3D Gyroskop, 3D Akzeleromat und 3D Magnetometer, die 360-Grad-Bewegungen erfassen können. Die Akkus der Sensoren halten auch recht lange – außer, man vergisst, sie in den „Schlafmodus“ zu versetzen. Da sie das dummerweise nicht irgendwann von alleine machen, war meine erste richtige Session direkt mal verkürzt, weil die Dinger leer waren…
Die Grafik ist okay (aber auch nicht wirklich wichtig), die App wirkt in sich kompakt und durchdacht. Gerade die Einführung und die Kalibrierung sind sehr gelungen und führen den Nutzer gut in das Spiel ein. Was ich auch gut fand, waren die zwischenzeitlichen Dehn-Übungen. Die sollen für Auflockerung zwischen den Runden sorgen und bieten anschauliche Möglichkeiten, auch abseits der App mal ein wenig Bewegung im Haus zu haben. Nur die Video-Loops waren nicht immer wirklich gut getimed.
Kaufen kann man Valedo mit zwei Bewegungs-Sensoren und 100 medizinischen Klebestreifen für 299 Euro. Stolzer Preis wie ich finde, gerade, wenn man es mit einer Wii vergleicht.
Fazit des Tests
Insgesamt finde ich das System sehr gelungen. Gerade Kids, die nur noch vor der Konsole oder iPad-Games sitzen, können so zu Bewegung animiert werden. Der Gamification-Ansatz funktioniert mit Abstrichen gut und gerade die Analyse in der Langzeitentwicklung macht Sinn, um wirkliche Fortschritte erkennbar zu machen und Motivation zu bewahren. Der Preis ist meiner Meinung nach noch etwas hoch gegriffen, dürfte aber an der noch recht kleinen Verwenderschaft liegen. Der Vorteil liegt letztlich daran, dass nach und nach Inhalte per Updates in die App gezogen werden können, sobald die Hardware einmal unters Volk gebracht worden ist.
Mehr zum Gerät könnt ihr unter ValedoTherapy.com erfahren. Dazu natürlich auch auf Facebook oder YouTube. Zum Abschluss noch einmal das Gerät in Aktion. Weil mein Rücken (noch!) nicht so gut entzücken kann, wie der eines durchtrainierten Models, könnt ihr im Marketing-Filmchen von Hocoma das Gerät etwas schöner in Aktion sehen:
Mit freundlicher Unterstützung von Hocoma.
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