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29. Der Wettbewerb
Wie bei blinkenden Neonröhren geht mein Licht langsam wieder an. Alles ist so schummrig vor meinen Augen. Und mein Kopf schmerzt so sehr, da dürften beide Ratiopharm-Zwillinge auf einmal nicht gegen helfen.
„Fuck“ röchelt es aus meinem Hals heraus und ich zucke zusammen. Zum einen, weil ich die Lautstärke und innere Anstrengung der Aussprache dieses Wortes unterschätzt habe, zum anderen, weil ich es nur so dahin raunzen kann. Hoffentlich nur die normale Katerheiserkeit, denke ich mir. Ich wundere mich mal wieder über den menschlichen Körper. Irgendwie habe ich es doch tatsächlich noch geschafft, die Haustür aufzuschließen, die Klamotten auszuziehen und das eigene Bett zu finden, um dort hinein zu fallen. Ich habe sogar mein Hemd auf einen Bügel gehängt. Eine Spur Stolz kommt hervor. Und das, obwohl ich vom letzten Abend ab Elf Uhr nicht mehr viel weiß. Warum musste ich auch so lange da bleiben und so viel trinken? Verdammt. Ich liege erst einmal eine halbe Stunde so da und dünste vor mich hin. Dann fühle ich mich zumindest in der Lage, den Fernseher einzuschalten. Eine Stunde später muss ich allerdings aufstehen, weil ich mal muss. Zuerst überlege ich, ob ich nicht in die leere Wasserflache neben meinem Bett machen soll, aber hinterher werde ich spontan noch zu einem Geschäft Nummer Zwei eingeladen. Außerdem ist das sogar unter meinem Niveau.
Drei Stunden später geht es mir schon ein bisschen besser und ich kann sogar etwas Nahrung zu mir nehmen. Zum Frühstück gibt es Cheeseburger aus der Mikrowelle. Da habe ich jetzt Bock drauf. Ist ja auch schon 15 Uhr durch, da darf man sowas. Die Heiserkeit ist leider definitiv nicht katerbedingt. Immer noch raunze ich aus dem letzten Loch. Im Internet lese ich, dass Honig gut für die Stimme ist. Habe leider keinen. Vielleicht tut‘s ja auch Marmelade? Ich nehme einen Löffel und lasse ihn langsam die Kehle runter gleiten. Schmeckt wenigstens. Nach zwei Duschen, dreimaligem Zähneputzen und einem Kopfbad im mit Wasser vollgelaufenen Waschbecken, fühle ich mich nur noch müde und kaputt. Ein Fortschritt. So langsam wird es jedoch ernst. Heute muss alles passen. Ich ziehe mein bestes Paar Socken an und kontrolliere es auf Löcher. Perfekt. Ich ziehe meine beste Boxershorts an und überprüfe sie vorsichtshalber auf Löcher. Perfekt. Ich ziehe ein enges schwarzes T-Shirt unten drunter und meine momentane Lieblingsjeans an. Das wird was, denke ich mir.
Fehlen nur noch die Haare. Oh, die Haare. Natürlich hat die Friseuse sie mal wieder zu kurz geschnitten. Ich versuche das Beste daraus zu machen und nehme eine kleine Dosis Haargel, verreibe sie in den Handinnenflächen und lege los. Hm, sieht schon ganz okay aus, aber das gewisse Etwas fehlt. Ich wuschele und ziehe und forme und plätte, aber es will einfach nicht. Da sah das ganz am Anfang ja besser aus. Licht flackert, muss Glühbirne kaufen. Ich nehme noch eine kleine Portion Haargel und fange nochmal von vorne an, aber es wird einfach nicht besser. Warum muss man so einen Bad Hair Day aber auch immer dann haben, wenn man gerade gut sitzendes Haar braucht? Beim ersten großen Stand-Up-Wettbewerb, bei einer Hochzeit, einem Date oder als Bundeskanzlerin. Nie will es was werden. Chris meinte mal zu mir, das liegt an einem selbst. Durch den hohen Stress, dem man sich selbst aussetzt, werden Hormone ausgeschüttet, die die eigentlichen Armbewegungen beeinflussen und versteifen. Einfach smooth und gelassen ran gehen, dann wird es auch, sagt er. Außerdem findet man natürlich alles schlecht, wenn man die Ansprüche so enorm hoch schraubt, dass alles perfekt sein muss. Wenn man einfach morgens um 12:45 Uhr Brötchen kaufen will und einmal fix durch die Haare streift, sitzen sie doch auch manchmal einfach perfekt. Ich bewillige seinen Rat, atme einmal ganz tief ein und aus, lockere meine Arme, schließe meine Augen und wuschele einfach durch mein Haupthaar. Hier eine lockere Handbewegung, hier ein enthusiastischer Schwung, da eine gekonnt gezwirbelte Haarpirouette. Fertig. Es fühlt sich gut an. Ich öffne die Augen und sehe mich im Spiegel. Verdammt, sieht das scheiße aus! Was höre ich auch auf Chris… Nach nochmaligem Haare waschen funktioniert der einunddröflzigste Versuch einigermaßen und ich gebe mich mit dem tagestbestmöglichen zufrieden. So haben die Leute immerhin schon was zu lachen, wenn ich die Bühne betrete. Zur Feier des Abends ziehe ich selbstverständlich Tom, mein Lieblingshemd an. Er hängt bereits lässig bei mir an der Tür ab und wartet auf mich. Damit dürfte ich eh von allen Haaren dieser Welt ablenken. Bevor ich losfahre checke ich noch einmal, ob ich alles habe: Ausgedruckter Text – Check. Armbanduhr, um gut auszusehen, und meine Zeit im Auge zu haben – Check. Stift für kurzfristige Änderungen, um spontan zu wirken – Check. Zweiter Ausdruck des Textes, zur Sicherheit – Check. Utensilien für das Programm – Check. Sieht so aus, als hätte ich alles beisammen.
In der Bahn sehe ich Halbstarke, Tussis und junge Pärchen. Dazwischen ein paar normale Leute. Ob die wohl alle zum Wettbewerb fahren? Hoffentlich nicht. Das ist doch gar nicht deren Unterhaltungsniveau. An der nächsten Station steigen die Nachtschwärmergruppen glücklicherweise aus. Gehen bestimmt irgendwo Vortrinken, um dann irgendwo nach zu trinken. Eine Station weiter steigen auch nahezu alle normalen Leute aus. Püh, dann eben nicht. Ihr wisst ja nicht, was ihr verpasst. Vielleicht haben die sich auch nur vertan und sind eine Station zu früh ausgestiegen? Ich jedenfalls fahre den korrekten Weg und komme so gut an, das kann ich mir für meinen Auftritt nur wünschen. Im Theater ist es noch nicht wirklich voll. Das kann aber auch an der qualmfreien Luft liegen, die es leerer erscheinen lässt. Oder daran, dass ich eine Stunde überpünktlich bin. Zur Sicherheit. Karl ist sogar noch früher gekommen. Er sitzt bereits an der Bar und winkt mir zu.
„Abend, Karl.“
„Tach, Junge. Na, bereit für den großen Auftritt?“
„Aber sicher doch. Wird schon irgendwie alles klappen.“
„Da bin ich mir sicher. Gönn Dir erst mal ein Bier, gegen die Nervosität. Ich geb einen aus.“
„Oh, danke.“
So sitzen wir also da und trinken. Der Saal wird immer voller, bis er kurz vor dem ersten Auftritt ausverkauft scheint. Schon irgendwie seltsam, alle sehen so edel gekleidet aus und sitzen brav an ihren Tischen. Erwartungsvoll und Wein trinkend. Ein dürrer Schmalhans kommt in weißem Anzug und mit Mikrofon auf die Bühne. Das Publikum fängt an zu klatschen und ich stimme ein. Karl scheint sein Bier wichtiger zu sein.
„Guten Abend, meine Damen und Herren. Wir freuen uns, dass Sie sich heute für die richtige Abendgestaltung entschieden haben und sich unseren diesjährigen Comedy-Wettbewerb anschauen.“
Applaus. Dafür schon?
„Heute präsentieren wir Ihnen die besten Comedians aus Hannover und dem gesamten Umland. Sogar ein paar Kandidaten aus Berlin und Hamburg haben ihre Reise angetreten. Doch zuerst darf ich Ihnen unsere Jury vorstellen. Begrüßen Sie mit einem tosenden Applaus: In Hannover schlägt sein Herz – Oliver Pocher!“
Das Publikum johlt und klatscht, während Oliver Pocher die Bühne betritt und sich mehrfach theatralisch verneigt.
„Außerdem heute Abend mit von der Partie, die volle Wucht der komischen Wahrheit: Oliver Kalkofe!“
Was? Nicht, dass der mich wieder erkennt und bemerkt, dass ich nach seiner miesen Shrimp-Gift-Attacke dem Tod noch von der Brille gesprungen bin! Die Menge missachtet meine vorsichtig aufsteigende Angst und klatscht euphorisch.
„Und last but not least, der Schirmherr der Veranstaltung und langjähriger Unterhaltungschef des Theaters: Frank Deurberfique!“
Fuck. Ich belästige den dumm klatschenden Barkeeper und bestelle noch ein Bier.
„So, wie Sie sehen, haben wir eine namenhafte und kompetente Jury zusammen bekommen, die demonstriert, wie hoch das heutige Niveau anzusiedeln sein dürfte. Oli… also Pocher, was erwartest Du von der Veranstaltung heute?“
„Na, Spaß halt, ne? Vielleicht sieht man ja hier mal ein paar Leute, die wirklich was drauf haben, nicht wie bei RTL oder diesen ganzen Luftsendern…“
Oliver Kalkofe nickt ihm grinsend zu und sagt: „oder wie bei der ARD, donnerstags Abends, ne?“
Publikum klatscht, Schmalhans sabbert:
„Na, das fängt doch schon einmal gut an hier. Herr Deurberfique, nach den letztjährigen Events waren Sie ja quasi dazu gezwungen, eine Neuauflage zu liefern, oder?“
„Ja, durchaus. Die letzten Jahre sind immer so unterhaltsam und auf einem hohen Niveau abgelaufen, da hat es sich dieses Jahr von ganz alleine entwickelt. Ich möchte an dieser Stelle allen Sponsoren und…“
Bla-bla-bla. Das übliche formelle Herumgequatsche geht noch etwa zehn Minuten weiter. Dann sagt Moderator Schmalhans den ersten Kandidaten an. Nein, eine Kandidatin. Ich komme an fünfter Position. An einem der hinteren Tische sehe ich Jonas, Linda und Chris sitzen. Momentan habe ich keine Zeit für die, muss mich konzentrieren. Ich bestelle noch ein Bier. Die erste Kandidatin ist gut. Sogar sehr gut. Die Leute lachen und sie hat ein gutes Timing. Dazu noch gute Brüste, das dürfte bei dieser Jury durchaus Punkte geben. Tom bringt meine Brüste nicht so schön zur Geltung. Der zweite ist etwas schlechter, aber immer noch lustig. Wirklich harte Konkurrenz. Der schlaksige Thomas Hermanns Verschnitt im weißen Anzug fällt dagegen immer wieder deutlich ab. Vielleicht haben sie den extra engagiert, damit alle Auftritte zwischen seinen Moderationen noch besser wirken. Auch Nummer Drei ist lustig. Ich muss aufpassen, nicht zu laut zu lachen. Das erhöht nur unnötig den Lärmpegel und die Jury denkt hinterher, das kam super an. Leider kommt bislang fast alles super an. Selbst der Moderator. Vielleicht wurde zur Kompensierung des Rauchverbots jedem Zuschauer am Eingang LSD in die Hand gedrückt. Warum habe ich dann keins bekommen? Egal, gleich kommt der letzte Comedian vor mir an die Reihe. Den Anfang kann ich mir noch anschauen, dann muss ich hinter die Bühne. Doch was sehe ich da? Meine Kinnlade fällt auf Kniehöhe und ich glaube meinen verkaterten Augen kein Wort. Da kommt doch tatsächlich so ein Typ aus Berlin als nächster Künstler auf die Bühne und trägt Tom! Mein Hemd! Dieser Bastard! Das gibt es doch einfach nicht… Vor allem, der ist doch aus Berlin. Was will der hier? Und woher hat der das Hemd? Haben die in Berlin etwa auch Kaufhäuser? Verdammt. Der Tropfen schlägt dem Aufregungsfass den Boden aus und steint die Höhle. Jetzt weiß ich, wie Frauen sich fühlen, wenn zwei von ihnen die selbe Augenfarbe haben. Das. Geht. Nicht. Ich versuche wieder runter zu kommen. Ich darf mich nicht aufregen. Dazu habe ich keine Zeit, keine Ausdauer und vor allem keine Stimme. Ich überlege, ihn auszubuhen, aber das würde bestimmt auffallen. Ich hole Stift und Zettel hervor und versuche vielleicht kurzfristig noch etwas zu retten. Spontan sein, heißt es doch immer. Was aktuelles einbauen, heißt es doch immer. Lustig sein und alten Menschen einen Sitzplatz in der Bahn anbieten müssen, heißt es doch immer. Ich kritzle etwas herum und gehe hinter die Bühne. Ein paar Minuten habe ich noch. Ein paar Minuten, um eine Lösung zu finden. Vielleicht das Hemd ausziehen? Nein, das T-Shirt darunter ist unsagbar. Das habe ich nur angezogen, weil es so schön eng ist. Es ist ausgewaschen und hat ein hässliches Motiv. Ich habe keine Zeit mehr, mir etwas auszudenken, denn eine kleine Frau mit wichtig aussehendem Kopfhörer winkt mich zu sich.
„In einer Minute gehst Du drauf. Sasha moderiert Dich gleich an.“
Ich nicke. Schmalhans heißt also Sasha mit Vornamen. Ohne C. Hihi. Hört sich zumindest so an, als ob er ohne C geschrieben wird. Ein Frauenname, hihi. Aber ich habe keine Zeit für Wortwitze und lustiges Zeugs, ich muss mich konzentrieren. Ich bin Künstler. Ich bin Comedian. Ich bin gut. Ich bin lustig. Ich bin Deutschland. Ich bin. Ich bin dran. Mein Herz bleibt nahezu stehen, so angespannt bin ich.
„So, Leute. Jetzt geht es auch nahtlos weiter, mit unserem nächsten Künstler. Direkt hier aus Hannover und kurzfristig eingesprungen ist Joe K.!“
Mein Herz schlägt. Und die lustig aussehende Kopfhörerfrau auch. Ich werde förmlich auf die Bühne geschubst und das Publikum klatscht. Es fühlt sich gut an. Das schaffst Du, Sven.
„Abend. Mein Vorgänger hat mir netterweise sein Hemd geliehen. ‚Das bringt Glück‘ hat er gesagt. Schaden kann’s ja nicht, dachte ich mir. Aber sein Glücks-Tanga kneift schon ein bisschen.“
Das Publikum fängt an zu lachen und ich kreise mit zerknittertem Gesichtsausdruck meine Hüfte dazu. Fängt doch super an. Den schweren Einstieg habe ich schon einmal gemeistert. Ich fange mit meinem eigentlichen Programm an und rede über die aktuelle Fernsehlandschaft. Es läuft einfach klasse. Die Leute lachen, klatschen und alles ist gut. Dann wechsle ich das Thema:
„Und ihr kennt doch sicherlich auch dieses notwendige Übel für die einen und das höchste aller Gefühle für die Frauen: Einkaufen. Ich habe das Gefühl, beim Einkaufen besteht der größte Teil darin, irgendwo warten zu müssen. Warten auf die Bahn, Warten auf eine freie Umkleide, Warten an der Kasse. Vielleicht shoppen Frauen nur so verdammt lange, damit in Relation dazu die Wartezeit kürzer ausfällt? Dabei kommen doch da die schönsten Gespräche zum Vorschein. Letztens, und das ist wirklich wahr, stand ich in einer Warteschlange eines großen Kaufhauses. Ich dürfte der einzige Wartende unter 80 gewesen sein und da fangen zwei alte Damen an zu reden:
‚Haben Sie mitbekommen? In Düsseldorf am Flughafen, da gab es eine Bombe!‘
‚Was? Eine Bombe? Wie furchtbar…‘
‚Ja, genau, eine kleine Bombe und die haben den halben…‘“
Scheiße. Was mach ich da nur? Ich habe mich in all meiner Selbstsicherheit absolut verheddert. Soll ich mich jetzt verbessern? Oder den Witz einfach weiter erzählen…? Verdammt, ich mach lieber weiter. Was kam denn danach? Meinen Kopf durchschießen tausend Gedanken, aber keine Lösung. Ich merke, wie ich wie versteinert auf der Bühne stehe, mitten im Satz geht mir die Luft aus, wie einem Rentner, der sich aus Selbstschutz beim Entfernen eines Bienenstocks die Aldi-Tüte über den Kopf klebt. Ich fange an zu schwitzen. Die Leute schauen mich erwartungsvoll an. Verdammte qualmfreie Luft. So kann ich jedes Augenpaar sehen, wie es mich ansieht. So fordernd, so zweifelnd. Ich suche händeringend nach einer Nahtstelle zum Rest des Programms. Keine Panik, Sven. Keine Panik. Meine schweißnassen Hände durchsuchen meine Hosentaschen nach meinen Notizen. Verdammte Oberscheiße! Die habe ich anscheinend hinter der Bühne vergessen. Mein Herz würde wohl momentan aus dem Stand Mike Tyson k.o. schlagen.
„Ähm… joa. Und dann… Jedenfalls war ich dann auch in der Stadt…“
Mir fallen nur noch Brocken ein, die ich dahin stammle.
„So mit den schnellen Panikkäufern…“
Der Zusammenhang ist weg. Der mühsam gesponnene rote Faden hat sich durch meine lockere Selbstüberschätzung in Milchreis aufgelöst. Und ich hasse Milchreis. Die ersten Leute im Publikum schauen sich gegenseitig verwirrt an, während ich händeringend den Eingang des Sacks suche, den es zuzumachen gilt.
„Und wissen Sie, was mich erst Recht aufregt? Ähm… diese… diese Übersetzungen! Ja, die Übersetzungen…“
Das ist doch noch nicht mal in meinem Programm?! Was mache ich da nur…?
„Englische Serien werden ins Deutsche verhunzt. Da wird aus dem Videospiel ‚Guitar Hero‘ auf einmal ‚Gitarren Crack‘.“
Meine Stimme wird immer schneller, fängt beinahe an, sich zu überschlagen.
„Oder… äh… aus ‚Hot Wheels‘, alsodiesenkleinenAutosda, diesemSpielzeugfürKinder… Dawird ‚heißeReifen‘ draus. Und so…“
Keine Reaktion im Publikum. Mein Timing ist dahin. Mein Inhalt ist dahin. Mein Auftritt ist dahin.
„Danke schön.“
Ich gebe auf. Noch nicht einmal bei der Hälfte meines Programms angekommen, stecke ich das Mikrofon in seine haltende Vorrichtung und gehe von der Bühne. Ich durchquere den kleinen Backstage-Bereich schnurstracks in Richtung Bar. Auf dem Weg dahin merke ich die Blicke der Anderen. Die Künstler, der Moderator, Karl, ja selbst die sonst so lustig aussehende Kopfhörerfrau: Sie alle scheinen enttäuscht zu sein und blicken herab. Zu mir. Zu Recht. Ich gehe an die Bar und bestelle wehmütig ein Stück Zuneigung in Form eines doppelten Jägermeisters. Ich hebe das Glas und haue ihn ex runter. Mit dem Heruntergleiten meines Arms erscheint das alte faltige Gesicht meines Managers vor mir.
„Tja, Junge… Das war wohl nichts…“ sagt er und klopft mir auf die Schulter.
„Ja. Sorry, Karl. Dein Anteil am Preisgeld wird heute nicht viel einbringen, schätze ich.“
„Kein Problem. Kann ja mal passieren. Das passiert allen Mal. Das muss allen mal passieren! Je früher, desto besser.“
„Ach Quatsch.“
„Doch, doch. Jetzt weißt Du, dass Du nicht so selbstsicher an die Sache ran gehen darfst. Es ist halt harte Arbeit, Leute zum Lachen zu bringen und es wie Urlaub und Hobby aussehen zu lassen. Genehmige Dir erst mal noch nen Drink, schalte den Kopf ab und schau Dir den Rest des Programms an. Mund abwischen und weiter machen, Junge.“
Karl klopft noch einmal auf meine Schulter und deutet auf seine Zigarrenbox und dass er kurz raus geht. Kein Wunder, er will die Straße neu teeren, in die ich binnen weniger Minuten mehr Schlaglöcher gebombt habe, als das Gesicht von Thomas Doll hat. Ich bestelle mir noch einen Kurzen und trinke ihn. Beim Absetzen des Glases erscheinen meine Freunde vor mir. Linda stürmt auf mich zu und umarmt mich.
„Macht nichts, Sven.“
„Der Anfang war klasse!“ versucht Jonas mich aufzumuntern.
„86 Prozent aller Comedians haben hin und wieder einen Blackout. Und der Rest ist eh zu schlecht.“
Jaja. Die drei versuchen ja ihr Bestes. Aber irgendwie ist dieser Moment der Niederlage für mich auch ein Moment der Einsicht. Vielleicht muss das Kind erst einmal seine Flügel von der Sonne geschmolzen bekommen, um einzusehen, dass es nicht fliegen kann. Auf einmal sehe ich Nadja auf mich zustürmen. Sie umarmt mich und flüstert mir ins Ohr:
„Hey. Ich fand Dich toll!“
Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange und stellt sich zu meinen Freunden.
„Leute.. Ähm, das ist Nadja. Nadja, das sind meine Freunde, Jonas, Linda und Chris.“
Alle geben sich brav die Hand. Nadja erzählt ihnen, wie wir uns kennen gelernt haben und alle versuchen weiterhin, mir die Fröhlichkeit wieder zu geben, die ich ihnen eigentlich heute Abend geben sollte. Die Lacher bei den anderen Comedians wirken wie Häme gegen mich. Sie schmerzen viel mehr als die letztliche Verkündung der Platzierungen. Ich komme nicht auf die ersten fünf Plätze. Kein Wunder. Jeder, der heute auch nur sein Programm durchgezogen hat, dürfte heute besser gewesen sein als ich. Außer Moderator Schmalhans vielleicht. Karl ist relativ schnell gegangen, er musste noch irgendwas erledigen, hat er gesagt. Es ist ja auch schon spät. Wir wollen alle so langsam gehen.
„Mach Dir nichts draus, Sven,“ versucht Nadja weiterhin hartnäckig, mir die Laune zu verbessern. „Ich finde Dich lustig. Wir alle finden Dich lustig. Beim nächsten Mal wirst Du sie wegrocken!“
„Es wird kein nächstes Mal geben.“
Die Vier schauen mich verwundert an. Schon wieder diese fordernden Blicke.
„Meine Mutter hatte Recht. Was habe ich mir überhaupt gedacht? Einfach so auf eine Bühne steigen, ein paar Witzchen erzählen, und alles kommt von alleine? Nein. Das Leben ist keine Comedy-Veranstaltung und Komiker kein Beruf. Das war’s, ich höre auf.“
Noch bevor es überhaupt begonnen hat. Meine Freunde wollen es mir ausreden, ich soll nochmal darüber schlafen, es mir noch einmal überlegen. Ich sei doch so gut und könnte es wirklich schaffen. Aber mich hat jegliche Hoffnung verlassen. Ich bin auf dem harten Boden der Realität angekommen. Vielleicht sollte ich es mir noch einmal mit der eigenen Pizzeria oder dem Umzugsflaschenzugverleihsystem überlegen. Aber eines ist sicher: Sven Bukholz wird kein Comedian.
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