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Auf Bali geht um Vier die Sonne unter - Kapitel 28 Auf_Bali_Blogbinder

28. Nadja

Nadja ist klasse. Wir verstehen uns auf Anhieb gut und reden Stunden lang miteinander. Dass ich eigentlich Kontakte im Comedy-Business knüpfen wollte, ist mir egal. Dieser eine Kontakt ist mehr, als ich mir für den Abend erträumt hatte. Zwischendurch muss Nadja leider immer wieder los, ihrem Job nachgehen als… Nun ja, was ist sie eigentlich?
„Ich bin eine Servicekraft für gesellschaftlich gehobene Feiern.“
„Und was macht man da so, außer hilflose Männer aus dem Badezimmer zu erretten?“
Sie sagt mir, man mache Alles und Nichts. Die Gäste werden mit Speis und Trank bedient, bei Fragen steht man zur Verfügung und allgemein soll man für Sauberkeit und gepflegte Atmosphäre sorgen.
„Wie eine Ehefrau, nur schick angezogen“ sagt sie und zeigt auf ihr Abendkleid. Oh ja, schick ist sie. Sogar angezogen. In unseren Gesprächspausen in denen sie arbeitet lasse ich mich von ihren Kolleginnen bedienen. Der Gastgeber lässt sich nicht lumpen, feinster Champagner und frisch gemixte Cocktails von mehreren im Haus verteilten Barkeepern sind zu haben. Ich probiere jeden einmal aus. Also Cocktail. Schon alleine um Mut zu finden, mit so einer schönen Frau wie Nadja überhaupt ein Gespräch zu führen. Weil mir die Pausendauer etwas zu lang wird, gehe ich sie suchen. Leider sehen von Weitem aufgrund der einheitlichen Garderobe und der hochgesteckten blonden Haare viele Service-Damen aus wie sie. Und ein Service-Herr. Doch auf der geräumigen Terrasse des Anwesens mache ich sie dann doch noch aus.
„Hallo, könnte ich Dir kurz eine Frage stellen?“
Sie schaut mich mit ihren wunderschönen Augen an und verdreht sie kurz.
„Hier nicht Duzen, Du weißt schon…“
„Oh… äh. Klar. Entschuldigen Sie, könnte ich Ihnen kurz eine Frage stellen?“
„Aber natürlich. Wie kann ich Ihnen denn behilflich sein?“
Ich schlucke kurz in mich hinein und wünschte, ich hätte doch noch einen Cocktail mehr genommen.
„Haben… Sie eigentlich einen Freund.. oder so?“
Sie schaut etwas verschüchtert umher und blickt sich auf der Terrasse um. Keine hohen Tiere anwesend, wie es scheint.
„Ähm, nein. Nein, habe ich nicht.“
Mein Mund verformt sich wie von selbst zu einem Grinsen, welches eigentlich aufgrund von Überbreite gesondert markiert gehört. Mit einem Schild, oder einer Fahne, oder so. Aber das sähe sicherlich furchtbar aus. Ein leises dahin geflüstertes „schön“ folgt von mir. Sie schaut erneut umher. Wie süß sie doch ist, wenn sie verunsichert ist.
„Und, wie ist das bei Ihnen?“
Oh, Gegeninteresse. Klasse. Ich versuche mein Grinsen wieder in eine halbwegs menschliche und ernste Fassung zu schrauben, aber die Zange will nicht greifen.
„Ich habe auch keinen Freund.“


Plötzlich zuckt mein linkes Auge einmal kurz zusammen. Ein Zwinkern? Wirklich? Verdammt, das muss aber billig und machohaft rüber gekommen sein. Aber vielleicht hat sie es ja nicht gesehen. Bestimmt doch. Was, wenn sie meinen kleinen Witz gar nicht mitbekommen hat? Vielleicht denkt Sie, dass ich schwul bin. Oder noch schlimmer, dass ich mir versprochen hätt.
„Ich hoffe, Du meinst Freundin?“ fragt sie mich mit einem wunderschönen Lächeln und blinzelt mir zurück. Habe ich schon gesagt, was für bezaubernde Augen sie hat? Aber Moment mal.
„Moment mal. Hast Du mich gerade geduzt?“
„Oh… ja. Ähm, hör mal. Ich habe in einer Viertelstunde Schichtende. Komm doch dann mal rüber zum Eingang, dann können wir in Ruhe quatschen. Okay?“
Alles, was Du willst, Du Service-Mutter meiner zukünftigen Kinder Luke und Leia.
„Klar, wie Du willst.“
Ich beschließe die Wartezeit mit den anderen anwesenden Gästen zu überbrücken. Auf der Terrasse ist momentan nicht viel los. Ich überlege, wo ich hingehen soll, da fällt einer Dame – bestimmt so mittleres Alter, die Haare scheinen bereits gefärbt zu sein, das Gesicht wahrscheinlich mehrmals in der Woche zur Vorsorgestraffung bei einem Ostblockarzt, damit die deutsche Wirtschaft auch ja nicht vom finanziellen Überfluss mancher Neureicher was hat, weil das böse Steuersystem ja immer gegen die guten Millionäre vorgeht… Mittleres Alter ist glaube ich zu positiv ausgedrückt. Das muss man eher ausdrücken, wie ein pubertierender amerikanischer, sprich fettleibiger Junge seine Pickel morgens vor dem heimischen Spiegel, der ein Überbreiteschild um den Hals hängen hat. Die ist alt. So richtig alt. Und nicht dieses gute Alt, welches einem Bonbons und Geld für ein Eis oder eine gemischte Tüte beim Kiosk zusteckt, nein, das schlechte Alt, welches denkt, es wäre noch Jung. Mitte Vierzig ist die bestimmt. Vielleicht älter. Immerhin trägt sie so einen großen Hut, als ob wir beim Polo wären. Oder Pferde-, Hunde-, Hahnenkampfwetten betreiben würden. So einen riesigen Hut, den man etwas zusammendrücken muss, um durch eine Tür zu kommen. Ein Sonnenhut. Und eine Sonnenbrille. Das, wo es im Herbst in Hannover ja auch so sonnig ist. Und an Ohren, Fingern und Hals glitzerndes Zeug im Werte des Bruttosozialproduktes Frankreichs. Jedenfalls fällt der mittelalterlichen Dame im Vorbeigehen ihre Handtasche herunter. Ich bücke mich, hebe die Tasche auf und gebe sie ihr.
„Danke, junger Mann.“
„Bitte sehr.“
Vielleicht schenkt sie mir ja einen ihrer Ringe, dann wäre ich für die nächsten Jahre erst mal flüssig und davon befreit, kuriose Haustiere hüten zu müssen.
„Kennen wir uns?“
Oh mein Gott. Macht mich die alte Schachtel etwa an?
„Ähm, nein, ich glaube nicht. Wer sind Sie denn?“
Die alte Frau zieht langsam und leicht ihre linke Augenbraue hoch und rümpft kurz ihr operierte Nase, um nach einem langen Einatmen selbstverliebt zu entgegnen:
„Ich bin Frau Deurberfique.“
Ich zücke meinen kleinen Block aus der Gesäßtasche und notiere mir ihren Namen. Brüller. Ein Lachen kann ich mir kaum verkneifen.
„Freut mich. Schöne Tasche, ich muss dann mal los.“
„So sei es. Was gibt es da zu grinsen junger Mann?“
Ich drehe mich um und gehe. In meinem Kopf rattert es. Damit muss doch was machbar sein. Lustig, aber nicht plump. Ich stelle mich an einen der Stehtische im Wohnzimmerbereich und kritzle auf meinem Block herum. Zehn Minuten später gehe ich zum Eingang, wo Nadja bereits auf mich wartet. Schön, dass es auch noch hutlose Frauen meines Alters hier gibt. Wir setzen uns auf eines der Sofas im Eingangsbereich und reden. Über Musik, Film, Hobbies und Arbeit.
„Du bist also Komiker?“
„Nene. Komiker sind komisch… Ich will lustig sein, also Comedian. Aber das bin ich noch lange nicht.“
„Ich finde Dich lustig.“
Oh diese Augen…
„Und komisch.“
Sie lächelt mich an und wir müssen beiden anfangen zu lachen.
„Siehst Du? Du bringst mich zum Lachen.“
Der Abend wird später, die Barvorräte kleiner. Die Sonne ist mittlerweile sogar in Deutschland unter gegangen und die Gesprächsthemen entfernen sich vom oberflächlichen Geplänkel hin zu intimeren Details.
„Oder bist Du etwa einer dieser bemitleidenswerten Macho-Loser, die nachts Pornos, oder noch schlimmer: Diese DSF-Sporty-Clips schauen, um sich einen von der Palme zu wedeln?“
Och Schätzchen. Sexy Sport Clips heißen die…
„Nenene, natürlich nicht. Was denkst Du von mir? Komme ich so billig rüber? Ich gebe ohne Probleme zu, Erotikfilme zu schauen. Aber ich gucke nur anspruchsvolle Sachen, zu denen ich auch stehen kann.“
Ich mag ihr Lachen. Es ist so rein. Es wirkt ehrlich und lebensfroh. Die Zeit verfliegt und so kommt es irgendwann, dass Nadja nach Hause muss. Einige Kolleginnen haben sich ein Taxi bestellt.
„Musst Du wirklich schon los? Bleib doch noch ein bisschen…“
Doch meine beste Hundeblickimitation seit Jahren zieht nicht bei ihr.
„Tut mir leid. Ich muss morgen früh raus. Aber wir sehen uns ja dann abends.“
Zum Abschied gibt sie mir einen Kuss auf die Wange. Ich schmelze auf dem Sofa dahin und schaue ihr hinterher. Mensch Sven, das könnte SIE sein. Ich überlege auch zu gehen, immerhin ist es schon spät und ich muss morgen noch mein Programm finalisieren. Doch die Service-Spätschicht überredet mich mit einem gut gemixten Long Island Ice Tea noch zum Bleiben. Männer sind halt doch leichter zu beeinflussen. Ich komme hier und da mit ein paar Leuten ins Gespräch, aber es bleibt bei oberflächlichem Small Talk, wobei ich thematisch nicht mithalten kann. Golfen, Tauchen, Urlaub, Geld. Das habe ich entweder noch nie gemacht und Tauchen war ich seit Jahren schon nicht mehr. Als ich einem vierköpfigen Rat der Halbglatzen kurz beiwohne kann ich mit meinem Minigolffachwissen leider nicht dabei behilflich sein, welches Eisen man bei leicht einsetzendem Regen und etwa 30 Yard zum Loch wählen sollte.
„Wie viel sind denn 30 Yard? Die Mühle ist am schwersten… Mit diesen bewegenden Flügeln. Da schlage ich immer gegen. Also mit dem Ball, nicht ich selber. Das wäre ja idiotisch, hihi. Aber die Mühle ist etwa 5 Meter weg… was ist das denn in Yard?“
Die Long Islands sind wirklich lecker. Hier merkt man die Qualität, da er nahezu ausschließlich aus Alkohol bestehen dürfte, wie es sich gehört. Ich entferne mich von der abweisend wirkenden Halbglatzenvereinigung und lasse mir noch einen mixen. Es wird mittlerweile überschaubarer. Bekannte Gesichter sind so gut wie gar nicht mehr zu erkennen. Zumindest für mich, aber das könnte auch am Alkohol liegen. Kostenlos schmeckt der gleich nochmal besser. Wenigstens werden so auch die eingekalkten anderen Gäste etwas lockerer. Eine kleine Gruppe von Männern fängt an Viva Colonia zu singen und ich gröle mit voller Stimme mit. Kaum geht es um fußballähnliche Hymnen, werde ich akzeptiert. Leider ist es schon nach acht Durchgängen vorbei. Die anderen Männer hatten bereits nach dem zweiten Mal aufgehört mitzusingen, doch jetzt rüttelt mich ein älterer Herr zur Vernunft und aus Köln zurück nach Hannover.
„Kennen Sie denn kein anderes Textstück, welches Sie uns vortragen können?“ sagt er mir mit strenger Stimme und sarkastischem Unterton ins Gesicht. Leider bemerke ich den Sarkasmus nicht.
„Ähm… aber klar! Warte mal!“
Ich krame in meiner Hosentasche und hole meinen Block hervor.
„Hier, ein Gedicht. Is noch neu, also bitte nicht streng!“
Der alte Mann lässt mich erschrocken los, so dass ich mich auf den Wohnzimmertisch stellen kann. Ich räuspere mich und lege in ruhiger Art mit gewohnt gezieltem Sprachduktus los:

„Gestern traf ich Frau Deurberfik,
Mit einem Stein voll im Genick,
Ich sag: Du bist nicht derbe dick.
Und weil’s erscheint ungelogen,
ward schon bald ihr Mann betrogen,
von mir – Was für ein derber Fick.“

Ein lautes Lachen erfüllt das Wohnzimmer. Es ist mein Lachen, während ich vom Wohnzimmertisch herunter zu springen gedenke. Bei der Landung dürfte es Punktabzug geben, obwohl ich versuche, den Telemark noch durch eine demonstrative Handgeste zu retten. Der alte Mann kommt zu mir rüber, greift mich am Arm und zieht mich aus dem Zimmer Richtung Ausgang. Boah, in dem Alter möchte ich auch noch so stark sein.
„Ich spinne wohl.. Nein, Sie spinnen! Sie können doch nicht so über meine Frau sprechen. Eine Frechheit! So, Junger Mann. Das war es heute für Sie.“
Er geleitet mich netterweise zur Tür und will mich raus schmeißen.
„Aber… meine Jacke! Sie wollen doch nicht, dass ich den Kältetod sterbe? Oder? Den Kältetod?“
Verärgert lässt der alte Mann mich kurz zur Garderobe und beobachtet mich dabei, wie ich meine Jacke suche.
„Hm… zu blau. Isse das? Ne, das ist ja ne Frauenjacke. Hihi, ich und ne Frauenjacke, nenenene. Nenenenene. Nicht ich. Nenenene. Die ist zu schwarz. Oder war meine schwarz?“
Vier Minuten später habe ich meine Jacke gefunden. War doch die blaue. Ich gehe ins Treppenhaus und verabschiede mich.
„Danke, war toll!“
Die Tür knallt zu. Nette Party. Ich hadere etwas mit meinem Reißverschluss, doch nach einiger Zeit schaffe ich es und mache mich auf den Weg, die Stufen hinab zu gehen. Nach etwa zweieinhalb Stockwerken geht das Licht aus. Ich stehe mitten im Dunklen. Und auf einem Zwischenstockwerk ohne Schalter. Ich taste mich langsam und lautstark die Stufen einzeln hinunter. Um den Lichtschalter zu finden, benutze ich erneut mein Handy. Es leuchtet mir den Weg zu einem Schalter, über dem Licht steht. Meines Promille-Wertes zumindest Plusminus Eins bewusst schaue ich noch einmal prüfend hin und ja: Da steht definini… denifi… auf jeden Fall steht da Licht. In großen fetten Buchstaben. Etwas schwer zu lesen, weil es so verschnörkelt ist, aber da steht Licht. Ich drücke auf den Schalter aber nichts passiert. Hm, nicht richtig erwischt? Ich drücke so richtig dolle feste auf den Schalter. Aber kein Licht erscheint. Im Gegenteil, mein Handy geht wieder in den beleuchtungslosen Zustand über. Wild drücke ich mehrmals auf den Schalter und siehe da: Es ist hell geworden. Okay, hell ist vielleicht übertrieben, aber zumindest heller. Direkt neben mir ist auf Kopfhöhe eine Fläche erleuchtet in Größe einer Sichtscheibe in einer Eingangstür. Und Plötzlich wird es noch heller. Und lauter. Aus der auf einmal erschienenen offenen Tür neben mir kommt ein Typ im Nachtpyjama auf mich zu gerannt.
„Sagen Sie, spinnen Sie eigentlich? Was soll der Scheiß?“
„Was? Wissen Sie nicht, dass hier Dresscode ist?“
„Wollen Sie mich verar..? Ich.. Sie können doch nicht einfach mitten in der Nacht bei mir Sturm klingeln! Eine grenzenlose Frechheit ist das.“
„Aber, aber… ich habe doch gar nicht geklingelt bei Ihnen. Sie haben wohl getrunken, Mann ohne Anzug…“
„Ich, getrunken? Das sagen Sie? Sie kommen bestimmt da oben von dieser Clown-Party, was? Machen Sie, dass sie weg kommen!“
„Aber es ist so dunkel…“
Der Mann schlägt auf einen anderen Schalter und das Treppenhaus ist erhellt. Ah, die mit diesem kleinen leuchtenden roten Punkt. Den wollte ich eh als zweites ausprobieren…
„So, jetzt verpiss Dich, oder ich hol die Bullen!“
Trotz mehrerer Long Islands ist meine Blase relativ leer. Ich hatte ja auch die als Dunkelkammer getarnte Toilette besucht. Daher kann ich seiner Bitte nicht nachkommen und gehe einfach. Kaum bin ich unten angekommen, geht das Licht wieder aus. Dieses Mal in meinem Kopf.

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Beitrag von: Maik Mittwoch, 23. November 2011, 17:00 Uhr

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